Herr der Diebe
schläft nicht hier.« Bo schüttelte so verächtlich den Kopf, als müsste Victor das wissen. »Scipio hat viel zu tun. Er ist sooo schlau. Deshalb hat er auch…«, Bo beugte sich verschwörerisch zu Victor herüber und senkte die Stimme zu einem Flüstern, »… den Auftrag vom Conte gekriegt. Prosper will ja nicht mitmachen, aber ich…«
»Halt den Mund, Bo!«, fuhr Prosper dazwischen. Er sprang auf und griff nach Bos Hand. »Das geht Sie alles nichts an«, sagte er zu Victor. »Sie haben selbst gesagt, die anderen interessieren Sie nicht. Also was soll das Gefrage nach Scipio?«
»Euer Herr der Diebe…«, hob Victor an.
Aber Prosper kehrte ihm den Rücken zu. »Komm, Bo, wird Zeit, dass du schläfst«, sagte er und zog seinen kleinen Bruder zur Tür. Doch Bo sträubte sich und riss seine Hand los. »Warte doch mal. Ich hab eine Idee!«, rief er. »Wieso binden wir Victor nicht los und er geht zu Esther und sagt ihr, dass wir leider von einer Brücke gefallen sind und dass sie nicht mehr nach uns suchen muss, weil wir ja tot sind. Geld gibt sie ihm dann bestimmt trotzdem, weil er ja nichts dafür kann, dass wir so dumm sind und von einer Brücke fallen. Ist das nicht gut, Prop?«
»Meine Güte, Bo!« Prosper stöhnte auf. Unsanft schob er Bo auf die Tür zu. »Keiner wird ihn in den Kanal werfen, aber wir könnten ihn auch nicht freilassen, selbst wenn er uns hoch und heilig verspricht, dass er uns nicht verrät. So einem kann man nicht trauen.« »So einem? Sehr freundlich!«, rief Victor den beiden nach, aber da hatte Prosper schon die Tür hinter sich zugezogen. Und Victor blieb allein zurück mit der Dunkelheit und den kalten Fliesen in seinem Rücken, Sie werden mich also nicht in den Kanal werfen, dachte er. Wie großzügig. Na ja, wenigstens bin ich den Knebel los. Am Waschbecken über seinem Kopf tropfte der Wasserhahn. Und draußen schnarchte immer noch der Wache haltende Mosca. Würde Esther Hartlieb mir glauben, dass die zwei von der Brücke gefallen sind?, dachte Victor. Bestimmt nicht. Und dann schlief er tatsächlich ein.
»Also, was machen wir mit dem Schnüffler?«, fragte Riccio. Prosper hatte frisches Brot zum Frühstück gekauft, aber keiner von ihnen bekam mehr als ein Stück davon hinunter. Die Einzigen, die gut geschlafen hatten, waren Bo und Mosca, der so lange friedlich auf seinem Wachtposten geschnarcht hatte, bis Riccio gekommen war, um ihn abzulösen. Wespe goss sich schon die dritte Tasse Kaffee ein. Die ganze Nacht hatte sie derselbe Alptraum geplagt: Eine Meute winziger, fetter Hunde hatte sie durch ein fremdes Haus gejagt und hinter jeder Tür, die sie öffnete, wartete ein gewaltig großer, hämisch grinsender Carabiniere, der aussah wie Victor, der Schnüffler.
»Mach die Zigarette aus, Riccio!«, knurrte sie müde. »Das ist nicht gut für Bo, wie oft soll ich dir das noch erzählen?« Mürrisch drückte Riccio die Kippe auf dem Boden aus. »Also, was machen wir?«, fragte er. »Die ganze Nacht hab ich kein Auge zugekriegt, weil der Kerl da im Klo herumliegt.«
»Was sollen wir schon machen?« Mosca zuckte die Achseln. »Wir lassen ihn erst laufen, wenn Scipio ein neues Versteck für uns gefunden hat. Scip sagt, mit dem Geld vom Conte können wir uns eine eigene Insel in der Lagune kaufen, wenn wir wollen.«
»Ich will aber keine Insel!« Riccio verzog angeekelt das Gesicht. »Ich will hier bleiben, in der Stadt, oder glaubst du, ich will jeden Tag mit so einem schaukelnden Boot fahren? Pfui Teufel!«
»Erzähl das Scipio«, unterbrach Wespe ihn ungeduldig und sah auf ihre Uhr. »In zwei Stunden treffen wir uns mit ihm, hast du das vergessen?«
»Also, ich hätte gern eine Insel!« Mit einem Seufzer richtete Mosca sich auf. »Wir könnten uns selbst unsere Fische fangen. Und Gemüse anbauen…«
»Fische fangen, pah!« Riccio rümpfte verächtlich die Nase. »Die kannst du allein essen. Ich ess keine Fische aus der Lagune. Die sind vergiftet von all dem Dreck, den die Fabriken auf dem Festland ins Meer pumpen.« »Ja, ja.« Mosca schnitt ihm eine Fratze und stand auf. »Ich bring unserem Gefangenen mal einen Kaffee. Oder soll er bloß Wasser und Schimmelbrot kriegen?« »Das war auch noch zu schade für den!«, rief Riccio. »Wieso seid ihr alle so scheißfreundlich zu dem Kerl? Nur wegen dem müssen wir uns ein neues Versteck suchen! Dabei ist das doch unser…«, er stockte, »… Zuhause hier. Das beste Zuhause, das wir je hatten. Und er hat es uns kaputtgemacht! Dafür
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