Herr der Diebe
schleichen?«
»Unsinn!« Prosper wurde blass um die Nase. »Bo macht bei dem Einbruch nicht mit.«
»Mach ich doch!«, rief Bo. »Machst du nicht!«, fuhr Prosper ihn an.
»Hört auf!«, schrie Riccio und zeigte wutbebend auf Victor. »Nur er ist schuld! Nur er! Alles war in Ordnung, alles war bestens. Aber weil er hier rumgeschnüffelt hat, streiten wir uns plötzlich dauernd und brauchen ein neues Versteck.«
»Ihr braucht kein neues Versteck!«, polterte Victor zurück. Das Blut stieg ihm zu Kopf, so sehr regte er sich auf. »Verflucht noch mal, ich habe nicht vor, euch zu verraten! Aber das sieht anders aus, wenn ihr einen Einbruch plant, verstanden? Was passiert denn mit dem Kleinen, wenn ihr alle von den Carabinieri geschnappt werdet? Ein Einbruch! Das ist was anderes als Handtaschen und Fotoapparate zu stehlen!«
»Scipio weiß, wie man so was macht! Der Herr der Diebe klaut keine Handtaschen!«, schrie Riccio. Seine Stimme überschlug sich fast. »Also untersteh dich und mach ihn hier schlecht, du aufgeblasener Ochsenfrosch!«
Victor schnappte nach Luft. »Aufgeblasener Ochsenfrosch? Herr der Diebe? Ich will dir mal was sagen!« Drohend machte er einen Schritt auf Riccio zu. Mosca und Wespe stellten sich schützend vor ihren Freund, aber Victor schob sie ungeduldig zur Seite. »Ihr seid auf den größten Ochsenfrosch hereingefallen, der sich jemals aufgeblasen hat. Unternehmt doch mal einen kleinen Ausflug in die Fondamenta Bollani 233. Dort erfahrt ihr alles über den Herrn der Diebe, was ihr wissen wollt. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: was ihr nicht wissen wollt.«
»Fondamenta Bollani?« Riccio biss sich beunruhigt auf die Lippen. »Was soll das werden? Eine Falle?« »Blödsinn.« Victor kehrte ihm den Rücken zu und hockte sich wieder neben das auseinander geschraubte Radio. »Aber vergesst nicht, euren Gefangenen einzuschließen, bevor ihr geht«, sagte er über die Schulter. »Ich werde jetzt dieses Ding reparieren.«
Nicht einer wollte im Kino bleiben, selbst Riccio nicht, obwohl er während des ganzen Weges verkündete, wie schändlich er es fand, Scipio nachzuspionieren. Mosca hatte Victor eingeschlossen, dann waren sie
losgelaufen. Und da standen sie nun, vor dem Haus, dessen Adresse Victor genannt hatte: Fondamenta Bollani 233. Auf so ein herrschaftliches Haus waren sie nicht gefasst gewesen. Eingeschüchtert blickten sie hinauf zu den hohen, spitzbogigen Fenstern. Sie fühlten sich klein und schäbig, eingeschüchtert. Nur zögernd traten sie auf den Eingang zu, dicht aneinander gedrängt. »Wir können da doch nicht einfach klingeln!«, flüsterte Wespe. »Aber einer muss klingeln!«, zischte Mosca. »Vom Rumstehen erfahren wir bestimmt nicht, was der Schnüffler gemeint hat.« Keiner rührte sich. »Ich sag es noch mal. Scipio wird schäumen vor Wut, wenn er merkt, dass wir ihm nachspionieren!«, flüsterte Riccio. Unbehaglich musterte er das goldene Namensschild neben dem Portal. Massimo stand in verschnörkelten Buchstaben darauf. »Lassen wir Bo klingeln«, schlug Wespe vor. »Bo ist am unverdächtigsten. Oder?«
»Nein. Ich mach’s!« Prosper schob Bo hinter sich und drückte, ohne lange zu überlegen, auf den goldenen Knopf. Zweimal. Er hörte, wie die Klingel drinnen durchs Haus schrillte. Die anderen versteckten sich zu beiden Seiten des vergitterten Portals. Als ein Mädchen mit schneeweißer Schürze hinter dem Eisengitter erschien, stand nur Prosper auf der Schwelle, hinter sich Bo, der dem Mädchen verlegen zulächelte. »Buona sera, signora«, sagte Prosper. »Ist…«, er blickte zu dem steinernen Wappen hoch, »kennen Sie zufällig einen Jungen, der Scipio heißt?«
Das Mädchen runzelte die Stirn. »Was soll das? Ist das ein dummer Scherz? Was wollt ihr von ihm?« Missbilligend musterte sie Prosper vom Kopf bis zu den staubigen Schuhen. So fleckenlos wie ihre weiße Schürze war seine Hose nicht. Und an seinem Pullover klebte etwas Taubendreck.
»Dann – dann ist es richtig?« Prospers Zunge fühlte sich plötzlich an wie etwas Fremdes in seinem Mund. »Er wohnt hier? Scipio?«
Der Gesichtsausdruck des Mädchens wurde noch abweisender. »Ich glaube, ich hole besser Dottor Massimo«, sagte sie, doch da schob Bo sich hinter Prospers Rücken hervor. »Scipio will uns aber bestimmt sehen«, sagte er. »Wir sollten uns heute mit ihm treffen.«
»Treffen?« Das Mädchen blickte immer noch misstrauisch, aber als Bo sie anlächelte, stahl sich auch auf ihren Mund die Spur
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