Herr der Diebe
Gefangener ist.«
»Vielleicht ist Scipio ja inzwischen im Versteck aufgetaucht!«, sagte Riccio hoffnungsvoll, als sie Victors Wohnungstür hinter sich zuzogen.
»Vielleicht«, sagte Prosper.
Aber so recht glauben konnten sie das alle drei nicht.
Bo öffnete die Tür, als sie zurück ins Versteck kamen. »Wo ist Mosca?«, fragte Prosper. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht an die Tür gehen!«
»Musste ich aber, weil Mosca keine Zeit hat«, antwortete Bo. »Victor zeigt ihm nämlich gerade, wie man sein Radio repariert.« Dann hüpfte er pfeifend wieder davon.
Die Tür zum Männerklo stand offen, als Prosper, Wespe und Riccio dort ankamen, und sie hörten Mosca lachen. »Ich fass es nicht!«, schimpfte Riccio und baute sich in der offenen Tür auf. »Was zum Teufel treibst du da, Mosca? Stellst du dir das unter Wachehalten vor? Wer hat dir gesagt, dass du ihn losbinden sollst?«
Erschrocken drehte Mosca sich zu ihm um. Er kniete neben Victor auf der Decke und reichte ihm gerade einen Schraubenzieher aus seiner Werkzeugkiste. »Reg dich ab, Riccio. Er hat mir sein Ehrenwort gegeben, dass er nicht wegläuft«, sagte er. »Victor hat eine Menge Ahnung von Radios, ich glaub, er kriegt es wieder hin.«
»Scheiß auf dein Radio!«, rief Riccio. »Und scheiß auf sein Ehrenwort. Der Kerl wird sofort wieder gefesselt.« »Hör mal zu, Igelchen.« Victor kam steifbeinig auf die Füße. »Auf mein Ehrenwort scheißt man nicht einfach, verstanden? Ich weiß nicht, wie du es hältst, aber auf die Ehrenworte von Victor Getz kann man sich hundertprozentig verlassen.«
»Genau.« Bo stellte sich vor Victor, als wolle er ihn beschützen. »Er ist nämlich jetzt unser Freund.« »Freund?« Riccio schnappte nach Luft. »Ja, bist du denn total verrückt geworden, du Baby? Er ist unser Gefangener, unser Feind!«
»Hör auf, Riccio!«, sagte Wespe. »Die Fesseln sind Blödsinn, wir können ihn genauso gut einschließen. Um aus dem Klofenster zu klettern, ist er ja wohl zu dick und zu groß, oder?« Riccio antwortete nicht. Mit düsterer Miene verschränkte er die Arme vor der schmalen Brust. »Ihr werdet schon sehen, was Scipio dazu sagt!«, drohte er. »Auf den hört ihr ja vielleicht.« »Wenn er irgendwann wieder auftaucht«, sagte Prosper. »Wieso, ich denk, ihr habt euch mit ihm getroffen?« Erstaunt richtete Mosca sich auf.
»Mehr als zwei Stunden haben wir vor dem Kiosk gewartet«, sagte Wespe. »Aber er ist nicht gekommen.«
»So, so«, brummte Victor und hockte sich wieder neben das Radio. »So, so, so. Aber meine Schildkröte habt ihr hoffentlich nicht vergessen.«
»Nein. Wir haben sie sogar mitgebracht.« Prosper guckte ihn an. »Was sollte dieses ›so, so, so‹ heißen?« Victor zuckte die Achseln und zog eine Schraube fest. »Na los, raus damit!«, fuhr Riccio ihn an. »Sonst hat deine Schildkröte das letzte Mal was zu fressen gekriegt!« Bedrohlich langsam drehte Victor sich zu ihm um. »Du bist ja wirklich ein reizendes Bürschchen«, knurrte er. »Was wisst ihr eigentlich über euren Anführer?«
Wespe machte den Mund auf, aber Victor hob die Hand. »Ja, ja, er ist gar nicht euer Anführer. Schon begriffen. Aber das war nicht meine Frage. Noch mal, was wisst ihr über ihn?« Die Kinder sahen sich an.
»Wieso, was sollen wir schon über ihn wissen?« Mosca lehnte sich gegen die geflieste Wand. »Wir reden alle nicht viel über das, was früher war. Scipio ist im Waisenhaus aufgewachsen, genau wie Riccio, das hat er uns mal erzählt, aber mit acht Jahren ist er weggelaufen, und seitdem schlägt er sich allein durch. Eine Zeit lang hat sich ein alter Juwelendieb um ihn gekümmert, der hat ihm alles beigebracht, was man so zum Leben braucht. Als der Alte gestorben ist, hat Scipio die schönste Gondel gestohlen, die am Canal Grande lag, hat den alten Dieb reingelegt und raus auf die Lagune treiben lassen. Und seitdem geht er gern seine eigenen Wege.«
»Und nennt sich der Herr der Diebe«, sagte Victor. »Er lebt also vom Stehlen und ihr auch.«
»Das werden wir dir gerade erzählen!«, spottete Riccio. »Und wenn es so wäre? Du würdest Scipio nie erwischen, selbst wenn du es hundertmal versuchst. Er ist der Herr der Diebe. Keiner kann ihm was vormachen. Barbarossa hat uns letztes Mal vierhunderttausend Lire für seine Beute bezahlt! Da staunst du, was?« Mosca stieß ihm warnend den Ellbogen in die Seite, aber zu spät. »So, so, Barbarossa, der alte Fuchs.« Victor nickte. »Den kennt ihr also auch.
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