Herr der Finsternis
niemals wiedersehen würde.
So glitt ich von der Verzweiflung zur Resignation und wurde ruhiger, sagte mir, daß ich etwa fünfunddreißig Jahre gelebt hatte, was mehr ist, als den meisten gewährt wird, und daß ich in dieser Zeit viel Freude und das richtige Maß Leid gekannt hatte. Nun, wenn ich jetzt sterben mußte, würde ich dieses Urteil akzeptieren, denn es entspricht über jede Debatte hinaus der Wahrheit, daß wir alle Gott, der uns das Leben geschenkt hat, einen Tod schuldig sind, und ich zahlte die Schuld nur ein wenig früher ab, als ich es mir vielleicht gewünscht hätte. Des weiteren gibt es viele Todesarten, die viel schrecklicher sind als das Hängen, und ich würde keine davon erleiden.
Doch mir sollte auch der Galgen erspart bleiben. Zwei Monate lang siechte ich in diesem üblen, stinkenden Gefängnis dahin, erwartete mein Verderben und dachte jedesmal, wenn ein Wächter eine Zelle betrat, er würde mich zum Galgen führen. Doch dann kam jener, der mir die Eisen an die Füße gelegt hatte, und nahm sie mir wieder ab; und dann betrat der Rechtsgelehrte Vasconcellos meine Zelle und sagte: »Ich bringe dir frohe Nachrichten, Engländer.«
»Ah, ich soll langsam im guten Wein der Kanarischen Inseln ertränkt werden, anstatt gehängt zu werden; ist es das?«
Er schüttelte über meinen Gleichmut den Kopf und sagte überaus ernst: »Seine Exzellenz Don João hat dich trotz deiner großen Verbrechen mit Gnade bedacht. Dein Todesurteil ist aufgehoben.«
»Gott sei gedankt!« rief ich.
Doch mein Jubel kam zu früh. Denn Vasconcellos fuhr damit fort, mir zu sagen, daß ich nicht begnadigt war, sondern lediglich einen neuen Urteilsspruch bekommen hatte: Der lautete, ich solle für immer in das Fort Masanganu verbannt werden, um für den Rest meiner Tage an diesem Ort der Fieber und der monströsen Hitze zu dienen und die Grenzen dieser Kolonie zu verteidigen. Als ich dies hörte, war es mein erster Drang, zu rufen, ich wollte lieber gehängt werden, da dies viel angenehmer sei. Was ich aber nicht sagte. Doch bei mir dachte ich, daß Don João für das Erweisen dieser Gunst nur wenig Dank von mir verdient hatte. Denn er hatte mich in ein Leiden über jedes Maß geschickt, in eine Hölle auf Erden, von der die einzige Erlösung wohl nur der Tod war.
Als ich an Bord der Pinasse ging, die mich den Fluß hinauf in meine Verbannung brachte, zog ich aus meiner Börse das kleine Frauenidol, das Doña Teresa mir vor langer Zeit geschenkt hatte, und betrachtete es überaus lange und eindringlich. Es schien noch immer die düstere, unwiderstehliche Schönheit dieser Frau zu verkörpern und sich noch immer wie durch eine geheime Kraft im Holz in meine Hand zu drücken. Ich atmete tief ein, biß die Kiefer aufeinander, schleuderte dieses Idol mit aller Kraft in das dunkle Wasser und sah ihm nach, wie es aus meiner Sicht verschwand.
Diese Tat bereitete mir einen gewissen Trost, eine Erleichterung von meiner Anspannung. Ich hielt mich an der Reling fest und stand schwitzend und keuchend da, als hätte ich eine gewaltige Anstrengung vollbracht, bis sie mich mit einem groben Stoß auf dem Schiff weitertrieben. Doch dieses Idol fortzuwerfen war das einzige, was ich gegen jene unternehmen konnte, die mir dieses Schicksal aufgebürdet hatten, wenngleich es mir in Wirklichkeit auch nicht das geringste einbrachte. Denn obwohl ich mich schließlich von Doña Teresas Hexenbann befreit hatte, war ich doch noch unausweichlich zu den äußersten Qualen verdammt, denn mich erwartete das versengte Masanganu, das schreckliche Masanganu.
Drittes Buch
KRIEGER
1
In Masanganu verbrachte ich sechs Jahre lang ein höchst elendiges Leben, ohne jede Hoffnung, jemals das Meer wiederzusehen.
Wie leichthin ich dies nun sagen kann! Es bedarf nicht einmal zweier Dutzend Worte, um diese einfache Tatsache auszudrücken. Doch wie mir selbst ein Narr beipflichten wird, kann man diese sechs Jahre nicht in einer Stunde weniger als diesen sechs Jahren durchleben; und ich schwöre beim Bart des Erlösers, daß sechs Jahre in Masanganu sechzig oder vielleicht sechshundert irgendwo anders gleichkommen.
Und doch habe ich es ertragen, Tag um Tag, Minute um Minute, was die einzige Möglichkeit ist, solch ein Schicksal zu überstehen. Wenn ich an die Jahre meiner Fron dort zurückdenke, scheint sich die Zeit fürwahr in sich selbst zusammenzuschieben, so daß ich von sechs Jahren sprechen und den Eindruck erwecken kann, als seien sie so schnell
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