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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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meinem Kopf vor sich ging. Dies liegt daran, daß in jenen Jahren nur sehr wenig in meinem Kopf vorging. Ich hatte mir den Kniff angeeignet, meine Gedanken abzuschotten, und beschäftigte mich nur mit meiner eigenen Sicherheit, mit meinen drei täglichen Mahlzeiten und den Befehlen, die ich ausführen mußte. Denn mittlerweile hatte ich mir die eigentliche Philosophie meines Lebens in Afrika angeeignet: nämlich, mich nicht zu widersetzen, dem zu dienen, wer auch immer im Augenblick mein Herr sein mochte, und meine Zeit abzuwarten, bis sich vielleicht eine Gelegenheit fand, dieses Land für immer zu verlassen. Mich zu widersetzen, für mich selbst zu denken, Unabhängigkeit des Geistes zu zeigen – ich hatte gelernt, daß diese Handlungsweise nur in den Kerker führte und auf dem Schlachtfeld vielleicht sogar zu einer standrechtlichen Hinrichtung.
    So ergab ich mich keinen Meutereien, nicht einmal innerlichen. Ich marschierte, ich aß und trank, ich kämpfte. Es spielte keine Rolle für mich, daß ich für Portugal kämpfte. In der tiefsten Wahrheit kämpfte ich nur darum, am Leben zu bleiben. Wir alle müssen die Aufgaben erfüllen, die Gott uns auferlegt hat, wie immer sie auch aussehen mögen, und wenn Gott in Seiner geheimnisvollen Weisheit bestimmt hatte, daß Andrew Battell aus Leigh in Essex einen gewissen Teil seiner Tage als Soldat in den Heeren Portugals verbringen sollte, nun, dann sollte es so sein. Dann sollte es so sein!
    Dann und wann mußte ich für meine Herren eine Verletzung hinnehmen. Bei diesen handelte es sich in der Hauptsache nicht um ernsthafte, sondern um die geringfügigen, die man sich im Kampf zuzieht, ein Schnitt hier, eine Prellung dort, ein ausgerenktes Bein oder ein verstauchter Knöchel, der einen eine oder zwei Wochen humpeln macht, und so weiter. Doch in der letzten meiner Schlachten in diesem Teil von Ngombe bohrte sich ein Pfeil tief in meinen rechten Schenkel und durchschlug die Sehnen und die dicken Muskeln so heftig, daß ich dachte, mir müsse das gesamte Bein abgenommen werden. Ich hörte das schreckliche, pfeifende Geräusch, das die Federn des Pfeiles machten, als er auf mich zugeschossen kam, doch ich konnte ihm nicht mehr ausweichen, und als er mein Fleisch durchschlug, machte es ein Geräusch wie bei einem Axtschlag gegen einen Baum. Ein geschickter Sanitäter zog den Pfeil heraus und verband mich derart, daß sich mein gespaltenes Gewebe schnell wieder zusammenfügte; doch trotzdem setzte dieser Pfeil meinem Dasein als Fußsoldat auf diesem Feldzug ein Ende, denn es war mir nicht mehr möglich, so viele Monate lang zu stehen oder zu marschieren. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Verwundeten wurde ich in die Stadt São Paulo de Luanda geschafft, wo ich meine Verletzung ausheilen sollte. Und ich war überaus dankbar, sowohl, daß ich das Schlachtfeld verlassen konnte, wie auch, daß Gott mein Bein verschont hatte, Gott und dieser portugiesische Sanitäter, der mir seinen Namen nicht genannt hatte. Er hatte einen grauen Bart, ein schielendes Auge und großes Geschick in den Händen, und das ist alles, was ich von ihm weiß.
    Nun nahm mein Schicksal einen freundlicheren Verlauf.
    Sobald ich das Bett verlassen konnte, wurde ich zum Gouverneurspalast bestellt, um mit Don João de Mendoça zu sprechen. Dies war die erste Begegnung, die ich seit langen Jahren mit ihm hatte, seit sieben oder acht, seit meinem Versuch, auf dem holländischen Schiff nach Hause zu segeln, und ich wußte, daß er mich nicht lediglich rief, um mich zu bestrafen oder meine Verbannung zu erneuern.
    Sein Anblick versetzte mich in große Bestürzung. Don João war übermäßig fett geworden, und es war nicht das gesunde, füllige Fleisch eines passionierten Freßsacks, sondern ein krankes und übles Fleisch, eine Art schwammige Wucherung, die um ihn herum wogte und schwabbelte wie ein gewaltiges, schlaffes Tuch, in dessen Tiefe der eigentliche Mensch irgendwo gefangen war. Die grünliche Färbung, die mir schon zuvor an ihm aufgefallen war, trat nun noch deutlicher hervor und ließ ihn wie ein Geschöpf aus dem Jenseits erscheinen, das dem Grab entkommen war und zwischen uns wandelte. Ich konnte den Schrecken bei seinem Anblick nicht verbergen. Doch er schien davon keine Notiz zu nehmen; er saß auf seinem großen Stuhl, eingefallen und alt, und betrachtete mich überaus aufmerksam, als wolle er aus meinem Gesicht all das lesen, was mir zugestoßen war, seit wir uns zum letzten Mal gesehen hatten. Er

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