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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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ließ die schwarze Frau die Namen wiederholen, bis sie sie so gut kannte wie ich und den zweiten Richard an seinen rechtmäßigen Platz zwischen Eduard und Heinrich Bolingbroke stellte und wußte, daß sich der vierte Eduard mit dem sechsten Heinrich während der Kriege zwischen York und Lancaster mehrmals in der Herrschaft abgewechselt hatten und mir sagen konnte, wie Heinrich Tudor aus Wales gekommen war, um den buckligen Tyrannen Richard zu besiegen, und so weiter: all die Namen, die man mir eingehämmert hatte, als ich als Junge für die Stellung eines Kanzlisten ausgebildet wurde. Es tat mir sehr gut, all diese Namen wieder zu hören, weil ich mich auf diese Art und Weise nämlich daran erinnerte, daß es einmal ein England gegeben hatte und es wohl noch immer ein England gab. Welchen Sinn dies alles für Matamba ergab, weiß nur Gott allein; doch wenn wir des Nachts zusammenlagen, mein Prügel tief in ihr, und uns langsam bewegten, murmelte sie oftmals: »Heinrich, Heinrich, Heinrich, Eduard, Eduard, Richard, Heinrich, Heinrich, Eduard, Maria, Elisabeth«, wie eine Art von Litanei, bei der sie die Namen auf eine wunderliche fremde Art und Weise aussprach. »Eilieschabeth«, mit einem pfeifenden Herausströmen des Atems, »Einriech«, »Rieschart«.
    Und ich erzählte ihr von unseren Dichtern, die der große Stolz und das Wunder unserer Rasse waren, unsere besondere Musik. Sie bat mich, ihr einige Verse vorzutragen, doch als ich in meinen Erinnerungen suchte, war alles leer und dunkel, ein trockner, versiegter Brunnen, bis plötzlich einige Brocken und Fetzen in den staubigen Ecken meines Geistes erschienen, und ich zitierte ihr einige Zeilen aus Marlowes Stück Faustus, das, als ich das letzte Mal in England weilte, die neueste Sache auf den Theaterbrettern gewesen war:
     
    Wie sonst gehn Zeit und Sterne, und der Pendel
holt aus zum Schlag! Der Teufel kommt, und Faust
fällt in Verdammnis! Oh – ich will hinauf
zu meinem Gott! – Wer reißt mich abwärts?! – Sieh:
wie Christi Blut einströmt ins Firmament!
Ein Tropfen, ein halber Tropfen – könnte meine Seele
erlösen! – Ach, mein Heiland! { * }
     
    Ich dachte, ich würde diese ganze Rede auswendig können, doch der Rest war mir entfallen, bis auf das Schlagen der Uhr und den letzten kleinen Rest:
     
    Ach Gott, mein Gott, blick nicht so voller Grimm!
Luft!! Ottern, Schlangen, laßt mir noch den Atem!
Schreckliche Höll’, öffne dich nicht!
Nein, komm nicht, Luzifer!
Ich will verbrennen meine Zauberbücher…
ah, Mephistopheles!
     
    Sie lauschte diesen Worten ganz ergriffen und hielt sie schon wegen ihres Klangs für eine magische Musik, was sie, wie ich glaube, fürwahr auch sind. Doch sie bat mich nicht, ihr die Bedeutung zu erklären, und als ich ihr die Worte übersetzte und zum Teil auf Portugiesisch und zum Teil auf Kikongo vortrug, erschreckten sie sie so sehr, daß sie vor mir zurückwich und sich zu einem verängstigten, zitternden Ball zusammenrollte, und ich mußte sie trösten, indem ich sie in den Arm nahm. Mich dünkt, sie befürchtete, ich würde in unserer kleinen Kammer den Satan heraufbeschwören.
    So beruhigte ich sie mit sanfteren Liedern:
     
    Westwind du, wann wirst du wehn,
Daß es wieder regnen tät?
Ach, wär meine Liebste doch bei mir
Und ich in meinem Bett.
 
    Und auch:
     
    Es saßen drei Raben auf einem Baum,
Und kratzten sich im Gefieder.
Es saßen drei Raben auf einem Baum,
Sie warn so schwarz, man sah sie kaum,
Und kratzten sich immer wieder.
     
    Und dann:
     
    Komm her, mein Schatz, zu mir,
Golden bricht der Morgen an:
Luft, Erde, alles hier
Künden unsre Liebe.
     
    Und all diese Lieder gefielen ihr, und ich mußte sie ihr oftmals vortragen, und selbst wenn mich bei den meisten mein Gedächtnis im Stich ließ, konnte ich ihr doch einzelne Bruchstücke und Strophen nennen, wenngleich auch kaum einmal ein vollständiges Gedicht. Und doch erfreute allein ihr Klang sie, und ihr Sinn, und ihre Augen strahlten, und sie legte ihre Hände in die meine und hielt sie fest, während ich sie mit diesen Gesängen meines Heimatlandes verzauberte.
    Sie fragte mich, ob ich eins davon komponiert habe, und ich antwortete ihr traurig, nay, ich sei kein Dichter, sondern lediglich ein Liebhaber der Dichtkunst, und daß andere Männer mit viel gehobeneren und weitreichenderen Seelen diese Worte verfaßt hätten, was sie zu der Frage veranlaßte, wie jemand eine weitreichendere Seele als ich haben könne; meine hätte mich schließlich

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