Herr der Finsternis
sagte kein Wort, und ich wagte nicht zu sprechen. Ich fühlte, daß ich in der Gegenwart des Todes weilte.
Dann schüttelte Don João langsam den Kopf und sagte: »Andres, Andres, wie lang ist es her?«
»Sehr lang, Don João.«
»Es scheint eine Ewigkeit zu sein.« Er betrachtete mich mit endlosem Schweigen, so daß ich schon glaubte, er sei eingeschlafen, ohne die Augen geschlossen zu haben, doch nach einer Weile sagte er: »Du wußtest, daß ich dich niemals an den Galgen bringen würde, nicht wahr?«
»Ich habe gebetet, daß Ihr mich verschonen möchtet.«
»Weißt du, es war eine schlimme Zeit. Die Zeit, als Doña Teresa behauptete, du hättest sie mißbraucht, und überaus teuflisch zeterte und anbot, ihre Wunden zu zeigen. Und Souza verlangte wie ein Besessener nach deinem Hals, Souza, der nie mehr gewesen war als ein Geck in hübschen Kleidern, und der nun plötzlich voller Eifer und Zorn war. Wenn Souza beharrlicher gedrängt hätte, hätte ich dich viel leicht hängen lassen müssen; doch er ist ein Schwächling, und das Feuer verließ ihn schnell. Und dann gestand Teresa, es sei eine Lüge gewesen, eine Lüge, die dem Zorn und der Eifersucht entstammte und die sie tief demütigte, als sie erzählte, wie sie dich verleumdet hatte, und… Nun, Andres, nun, all dies spielt jetzt keine Rolle mehr, nicht wahr? Nichts spielt mehr eine Rolle. Ich glaube, ich werde bald sterben. Ich habe versprochen, dich nach Hause zu schicken, nicht wahr? Und ich habe dich nicht nach Hause geschickt. Statt dessen bin ich es nun, der heimgeht – in einer Kiste, verstehst du, in einer langen Kiste aus dunklem afrikanischem Holz, fest zusammengefügt.«
»Guter Don João…«
»Nay, erspare dir deine freundlichen Worte. Siehst du nicht die Knochenhand um meinen Hals? Ich gehe heim, und ich nehme all dieses Elephantofleisch und das Manatifleisch und die schweren Weine dieses Landes und alles andere mit, von dem ich mir diesen gewaltigen, üblen Bauch angefressen habe.« Er grinste und zeigte mir ein klaffendes Loch von Mund, in dem nur noch Zahnstümpfe standen. »Velloria berichtet mir, daß du gut für uns gekämpft hast. Du warst immer inmitten der Schlacht, uneingedenk der Gefahren. Du warst einer seiner kühnsten Soldaten. Ich frage mich: Warum hast du so hart für Portugal gekämpft?«
»Ich habe gekämpft, weil es mein Gewerbe war, Don João.«
»Ah. Ich hätte diese Antwort voraussehen sollen. Du schlägst immer den offenen und einfachen Weg ein. Doch dein Gewerbe ist das Meer, habe ich geglaubt.«
»Wenn ich auf See bin, ist mein Gewerbe das Meer. Wenn ich Soldat bin, ist mein Gewerbe der Krieg.«
»Du sagst dies so ruhig. Was ist mit dir geschehen, Andres? Hast du keinen Zorn in dir?«
»Aye. Genug Zorn, schätze ich.«
»Warum denn diese übellaunige Ruhe? Warum tobst und zeterst du nicht und spielst den Löwen? Dieses Land hat dir dein halbes Leben gestohlen.«
»Es ist zu spät, um zu zürnen, Don João.«
»Ist es das? Du könntest einen Satz machen und mir das Leben aus dem Leib würgen, wenn du unter all diesem schwabbligen Fleisch nur meine Kehle finden würdest. Du könntest mich aufschlitzen wie ein geschwollenes Coccodrillo. So, wie sie es mit dem in Loango gemacht hatten, nachdem es all diese Sklaven gefressen hatte, nicht wahr?«
»Das würde ich nicht tun«, sagte ich.
»Warum nicht? Ich bin deiner Gnade ausgeliefert.«
»Euch zu töten würde mir diese Jahre nicht zurückgeben, sondern mich nur die kosten, die mir noch bleiben.«
»Ah. Immer ein Philosoph, Andres!«
»Und ich hege keinen Groll gegen Euch, Don João.«
Daraufhin blickte er ehrlich überrascht auf, und zum ersten Mal kam Leben in sein Gesicht, und ein Glanz schimmerte in seinen kleinen, geröteten Augen.
»Keinen Groll? Keinen Groll? Aber ich hätte dich nach Hause schicken können und habe es nicht getan.«
»Ich habe bald die Hoffnung aufgegeben, Ihr würdet mich nach Hause schicken«, sagte ich seufzend. »Es macht keinen Unterschied. Doch würdet Ihr mich jetzt nach Hause schicken?«
»Wirst du zuerst noch eine Reise für mich unternehmen?«
»Das habe ich schon zuvor gehört«, sagte ich mit einem leisen Lachen.
»Fürwahr. Nun, dieses Jahr geht kein Schiff mehr nach Europa. Doch später wird eins fahren, und wir werden gemeinsam darauf reisen, nicht? Ich in meinem Sarg und du, um ihn zu bewachen. Und in Lissabon wird man dich freilassen. Dies schwöre ich dir, und dies ist ein wahrer Schwur: Bei Gott, dem bald
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