Herr der Finsternis
meiner Seele, und ich dachte, meine Brust würde zerspringen!
Oh! Und ich betete, der Erdboden möge sich öffnen und mich verschlucken, damit ich nicht an dem teilhaben mußte, was mir angeboten wurde!
Doch ich wurde nicht verschlungen; noch stürzte ich ohnmächtig hernieder, noch gab es ein anderes Versteck. Und ich wurde ganz ruhig und sagte mir, wie ich es mir schon oft zuvor gesagt hatte, dies alles geschehe zu irgendeinem hohen Zwecke, der über mein Verständnis hinausging.
»Nimm und iß«, sagte Calandola.
»Herr«, sagte ich, und ich sagte es laut und auf englisch, »ich bin Euer Diener Andrew Battell, und ich habe ein befremdliches Schicksal erlitten, das Ihr mir sicher aus gutem Grund auferlegt habt. Ich will bei allem, was ich tue, Euern Geboten folgen, und ich hoffe, daß Ihr mich behütet und meinen Körper vor Gefahren und meine Seele vor der Verderbnis beschützt. Amen.« Dies war mein eigenes Gebet, das ich mir vor langer Zeit unter den Portugiesen von São Paulo de Luanda ausgedacht hatte. Dieses Gebet war mir bislang gut zustatten gekommen, und als ich es nun hervor stieß, fühlte ich, wie sich meine Seele sehr erleichterte. Ich nahm das Fleisch von Calandola entgegen, der mich mit einem so wohlwollenden Lächeln bedachte, als sei dies meine Taufe.
Ich starrte das Ding an, das ich in meiner Hand hielt, als hätte ich noch nie zuvor Fleisch gesehen, von welcher Sorte auch immer.
Ich werde davon essen, sagte ich mir. Und wenn ich bebe und spucke und es hervorwürge und den Imbe-Jaqqa beleidige, nun, dann soll er mich doch erschlagen und als den nächsten in den Topf werfen, und es wird mir egal sein, es wird mir egal sein, es wird mir egal sein.
Ich schlug die Zähne in das verbotene Fleisch und nahm einen zögernden Bissen, und ich schloß einen Augenblick lang die Augen und schluckte es hinunter.
Ich würgte nicht. Ich spuckte nicht. Das war das Erstaunlichste, was ich jemals erlebt hatte. Das Fleisch war saftig, gut gewürzt und war vom Geschmack her einem guten Stück Schwein nicht unähnlich, einem wohlgenährten Schwein. Ich fühlte, wie es über meine Zunge glitt und die Säfte meines Mundes einschießen ließ, und schluckte es herunter, und all das fiel mir befremdlich leicht. Es ist nur Fleisch, dachte ich. Und Fleisch von verblüffend gutem Geschmack, das der Herr erschaffen und auf die Erde gesetzt hat.
»Andubatil!« rief Calandola mit lauter Freude und Anerkennung. »Iß, Andubatil!«
Ich hatte ihre Gastfreundschaft akzeptiert, und nun wußte ich, daß ich das Lendenstück zurückgeben und um eins bitten konnte, das eher nach meinem üblichen Geschmack war. Und doch, und doch, und doch: Ich hatte seit langer Zeit überhaupt kein Fleisch mehr gegessen, und so leicht war mir der erste Bissen gefallen, und so überraschend wohlschmeckend war er an meinem Gaumen gewesen, daß ich bei mir dachte: Wenn ich dafür zur Hölle fahren muß, dann wird dieser eine Bissen mich schon verdammt haben, und so gibt es keinen Grund, nicht noch einen zweiten zu nehmen.
Gott gewähre mir Vergebung, dachte ich bei mir, und nahm einen zweiten Bissen des Fleisches.
»Andubatil!« rief Calandola erneut. »Andubatil Jaqqa!«
Und der Ruf erhob sich auf allen Seiten und wurde allumfassend, als sie sahen, wie ich an ihrem Festmahl teilnahm, das noch kein anderer Fremder jemals mit ihnen geteilt hatte und das mich nun zu einem der ihren machte. »Andubatil Jaqqa! Andubatil Jaqqa!«
Viertes Buch
JAQQA
1
Und so trat ich an diesem Abend in den Stamm der Menschenfresser ein und wurde einer der Ihren: der erste weiße Jaqqa, der je auf dieser Erde gewandelt ist, und, Gott gewähre es, auch der letzte.
Ich nahm an ihrem monströsen Mahl teil. In meinem Leib lagen nun Fetzen des Fleisches, das vor ein paar Stunden noch das Fleisch eines Kindes Gottes gewesen war, eines Sohnes Adams. So sei es. Ich hielt mir darüber keine feierliche Rede tief in meiner Seele; denn wenn ich etwas auf dieser meiner afrikanischen Irrfahrt gelernt hatte, dann, daß man alles nehmen muß, wie es kommt, und nicht erwarten kann, an diesem Ort, der allem Englischen so entgegengesetzt ist, ein englisches Leben führen zu können.
Diesen ganzen rauhen Abend über feierten und tranken und tanzten die Jaqqas, und ich tat unter ihnen das gleiche. Sie baten mich, ihnen einen englischen Tanz vorzuführen, doch ich zögerte, da England lange her war und ich die meisten Vergnügungen dieses Landes vergessen hatte. Dann erinnerte ich
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