Herr der Finsternis
Rodrigo seine Tapferkeit unter Beweis, bis er von einem Fieber befallen wurde und starb. Und bei der Verteidigung der Hippopotamus-Insel wurde Doña Teresas Mutter geraubt und aller Wahrscheinlichkeit nach von den Kannibalenkriegern verspeist. So war der Ort, der vor uns lag, in meinen Gedanken eng mit ihr verbunden, mit dieser Frau, deren so heiße und sirenenhafte Lippen und Brüste und Schenkel noch frisch in meiner Erinnerung waren. Und nun nahmen wir Kurs auf diese Insel.
Es war kein Kinderspiel, in die Mündung des Zaire einzufahren, und dort mußte ich mich auch als Lotse erweisen. Ihr müßt wissen, daß der Zaire ein Fluß ist, der alle Flüsse schluckt, ein gewaltiger Strom, demgegenüber unsere Themse im Vergleich wie ein Bach anmutet. Er läßt sich von der Größe her vergleichen mit dem großen Nilus von Ägypten und dem riesigen, vielmündigen Strom in Amerika, den man den Amazonas nennt, und ich könnte nicht sagen, welcher gewaltiger ist. Als ich mich ihm nordwärts näherte, war ich gezwungen, weit aufs Meer hinauszufahren, manchmal volle fünfzehn Meilen, da die Gewässer vor der Küste sehr flach sind und die Brandung von bösartiger Heftigkeit ist. Ständig durch mein Glas Obacht gebend, sah ich eine lange Mauer aus hohen, roten Tonklippen und erreichte dann das, was die Karten mir schon angekündigt hatten, die ersten portugiesischen Forscher jedoch in stummes Erstaunen versetzt haben mußte: den erschreckenden Vorstoß des Flusses ins Meer.
Er kommt mit einer dunklen Färbung aus dem Land, die durch den Schlamm entsteht, den er aus dem Herzen Afrikas mit sich führt. Und er ergießt diese Farbe weit ins Meer, vierzig, fünfzig, sogar achtzig Meilen, so daß die Wellen, die sich an der Küste brechen, von einer seltsamen, überraschenden gelbbraunen Farbe sind und der Ozean selbst von einer tiefroten, die an die von Blut erinnert. Und all das ist Süßwasser, obwohl es im Ozean liegt: Wenn wir wollten, könnten wir es trinken. Diese Flußströmung ergießt sich zwischen zwei breiten Spitzen, die wie die Scheren eines gewaltigen Krebses geformt sind, aus dem Land; sie bilden einen natürlichen Hafen von einem Dutzend oder mehr Meilen Durchmesser, der Seeleute zur Einkehr lädt. Hier laufen die roten Tonklippen aus, und man findet breite, leuchtende Sandstrände und dahinter einen Wald aus Ollicondi-Bäumen, bei denen es sich um die riesigsten Bäume auf der ganzen Welt handeln muß; und irgendwo östlich davon liegt schließlich eine blaue Wand ferner Berge.
Ja, ein so einladender Hafen! Doch in ihn einzufahren! Das schreckliche Einfahren!
Denn der Fluß strömt mit einem gewaltigen Tosen und Krachen vor und ergießt sich wie ein schrecklicher Dreschflegel über die Tiefen des Meeres, und unsere kleine Pinasse war gegen solch eine Gewalt nur eine kleine Muschelschale. Mit der Hilfe der Meeresbrise bahnte ich mir langsam und vorsichtig den Weg in die gewaltige Mündung des Zaire und glaubte dabei, ich würde mich in den Schlund eines Drachen begeben. Und obwohl es anfangs gut voran ging, wurde der Fluß schmaler und schmaler und immer schmaler, bis er kaum noch eine Meile Breite hatte, mit Ufern, an denen sich Klippen von sieben- oder achthundert Fuß erhoben. Je schmaler der Fluß wurde, desto stärker wurde seine Strömung; seine Breite reichte hier für all diese Wassermassen kaum noch aus, so daß sie um so heftiger fließen mußten. Wir fuhren gegen eine seewärts gerichtete Strömung von zehn Knoten an, die geradezu kochte und dampfte, mit Strudeln, die sich plötzlich mit abscheulich saugenden Lauten direkt unter unserem Kiel bildeten. Nun blickten die portugiesischen Matrosen mich an. Ich sah den Schrecken in Pedro Faleiros Gesicht und wußte, weshalb ich hier war.
»Sag es uns, Lotse! Wo entlang? Wo ist der Kanal?« Es gibt Zeiten, da ist es besser, nicht mit dem angemessenen Bedacht zu überlegen, sondern so zu handeln, wie der Augenblick es einem vorschreibt. Wenn einem das Glück beisteht, wird man zu solchen Zeiten zu einem Arm der See, zu einem Gehilfen des Windes, und alles durchfließt einen, ohne auf Widerstand zu treffen, und man weiß, was man zu tun hat. So war es bei mir.
Ich hatte die Wegekarte studiert und wußte, wie man am besten in die Flußmündung einfuhr, doch ich sah nun auf keine Karte. Ich stellte mich auf, so daß jedermann mich sehen konnte, und gab den Männern Zeichen, die an den Tauen und Seilen arbeiteten, und dem am Ruder, der den Stab umklammerte, und
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