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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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weigerte sich, ihre Anrufe entgegenzunehmen. Sikiokuu und Machokali waren am stärksten betroffen. Wie sehr ihre Seelen litten, zeigte sich an Sikiokuus hängenden Ohren und Machokalis leerem Blick.
    Machokalis Nöte wurden noch größer, als ihm die Global-Bank-Delegation eines Tages mitteilte, sie würde nach New York zurückkehren. Im Bewusstsein, dass sein Ansehen durch die jüngsten dramatischen Ereignisse ernsthaft gelitten hatte und die Aussicht auf seine Wiederherstellung von ihrer Präsenz im Land abhing, flehte Machokali die Delegierten an, nicht abzureisen, ohne sich in aller Form vom Herrscher verabschiedet zu haben. Sie erklärten sich bereit, ihre Abreise um einige Tage zu verschieben, aber Machokali gelang es nicht, eine Zusammenkunft im State House zu organisieren. Sie um einen weiteren Aufschub zu bitten, fehlte ihm der Mut. Er gab ein allgemeines Unwohlsein als Grund für die Unzugänglichkeit des Herrschers an. Die Delegierten verstanden die Notlage des Ministers und beruhigten ihn, er solle sich keine Sorgen machen. Wenn es sich ergeben sollte, dass er oder der Herrscher sich in New York aufhielten, seien sie stets willkommen, in der Bank vorbeizuschauen und weitere Gespräche zu führen. Sie dachten, sie hätten sich diplomatisch verhalten, und waren verblüfft, als Machokali sie anflehte, ihm die Einladung schriftlich zu geben. Auch diesen Wunsch erfüllten sie ihm und bestätigten einige Tage später den Rückflug nach New York.
    Machokali klammerte sich an diesen Brief wie an einen Talisman und sehnte den Tag herbei, an dem er ihn dem Herrscher vorlegen konnte. Anders als sein Erzfeind, hatte er immerhin etwas in der Hand, tröstete er sich.
    Aber er irrte sich, was seinen Erzrivalen anging. Im Kielwasser von Kaniũrũs hervorragender Schnüffelarbeit fühlte sich Sikiokuu zunehmend besser und glaubte, den Sturm überstehen zu können. Nyawĩra mochte zwar noch frei herumlaufen, doch Sikiokuu tappte immerhin nicht mehr völlig im Dunkeln, was diese Bewegung für die Stimme des Volkes anging. Er war bester Dinge. Vinjinia war Tajirikas Frau. Nyawĩra war Tajirikas Angestellte. Tajirika hatte den mächtigen Posten des Vorsitzenden von Marching to Heaven durch Machokali bekommen. Vinjinias Schuld würde Machokali in Verbindung mit der Bewegung für die Stimme des Volkes bringen und damit vielleicht sogar mit den Frauen, die die Nation mit Schande befleckt hatten.
    Die fortdauernde Schweigsamkeit des Herrschers nützte Sikiokuu, weil sie ihm Zeit ließ, die nächsten Züge in dem Spiel zu planen, das Machokali und er spielten, um endgültig zu entscheiden, wer der Stärkere war: die Augen oder die Ohren des Staates.
    Man erzählt sich, der Herrscher wäre sieben Tage, sieben Stunden, sieben Minuten und sieben Sekunden zurückgezogen im State House geblieben, bevor er eine Krisensitzung seines Kabinetts einberief. Zwar hatte er immer noch keine befriedigende Strategie, wie er mit den Frauen – wer immer sie waren – verfahren wollte, in der Zwischenzeit jedoch konnte er immerhin seine Wut an weniger schwer zu fassenden Opfern auslassen: an seinen Ministern.

9
    Als der Herrscher den Raum betrat, standen die Minister stramm wie verängstigte Kadetten beim Eintritt des diensthabenden Offiziers. Der Herrscher setzte sich und wies sie mit einer Geste an, dasselbe zu tun. Dann ließ er seinen Blick von der einen Seite des Tisches zur anderen wandern, ließ ihn kurz auf jedem Einzelnen ruhen, bevor er sich schließlich Sikiokuu zuwandte. Der Herrscher musste kein Wort sagen, um Sikiokuu klarzumachen, dass er jetzt eine Frage zu beantworten hatte.
    „Eure Allmächtigkeit, Sie sind unser aller Vater, und ich als folgsamer Sohn weiß, dass Sie mich auffordern, die Sache mit den Frauen zu erläutern. Meiner bescheidenen Meinung nach sind diejenigen, die uns überredet haben, die Schlangen als begeisterte Zustimmung für Marching to Heaven zu interpretieren, am besten in der Lage, das Fiasko zu erklären. Im Licht der zurückliegenden Ereignisse möchten sie uns vielleicht darüber aufklären, was sie wirklich vorhatten.“
    Der Herrscher blickte zu Machokali. Big Ben Mambo, der Informationsminister, tat schleunigst dasselbe. So verhielt er sich meistens: immer eifrig darauf bedacht herauszufinden, wer, Machokali oder Sikiokuu, als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgehen würde, um sich dann schnellstens auf dessen Seite zu schlagen. Machokali nahm die Herausforderung an.
    „Herrscher, der Sie unser

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