Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
gehört hatte. Wer dabei gewesen war, sprach mit der Autorität des Augenzeugen. Sie erzählten, dass sie beim Verlassen des Schauplatzes neben dem Abfall, den leeren Büchsen und Flaschen, auch Plastikschlangen gesehen hätten, und von da an wussten alle, dass diese Plastikreptilien das Erkennungsmerkmal der Bewegung für die Stimme des Volkes waren. „Ihr meint, diese Frauen gehörten zur Bewegung?“, fragten einige. „Was glaubt ihr denn?“, gaben die anderen darauf zurück und fuhren fort, wie diszipliniert die Frauen aufgetreten und wie sie auf wunderbare Weise in der Menge untergetaucht seien, nachdem sie dem Herrscher zu verstehen gegeben hatten, dass er sie am Arsch lecken konnte. Das war ihr Tag; das war ihr Triumph. Frauen? Sie mögen vielleicht still sein, aber wie bei stillen Wassern weiß man nie, wie tief sie sind.
    „Die ersten zwei oder drei Nächte konnte ich kaum schlafen“, erzählte Nyawĩra weiter. „Mein Kopf war vollgestopft mit all dem, was passiert war. Ich ging wie auf Wolken. Was die Bewegung so vielen Widerständen und Hindernissen zum Trotz erreicht hatte, wühlte mich auf. Ich schwebte immer noch auf einer Wolke der Freude, als ich wieder zur Arbeit bei Eldares Modern Construction and Real Estate musste. Du kannst dir vorstellen, wie schockiert ich war, als A.G. und seine Bande vom M5 einschließlich Kaniũrũs auf mich warteten!“, erzählte sie Kamĩtĩ und durchlebte noch einmal den Schrecken, der sie durchfahren hatte, als Arigaigai Gathere sie auf der Straße angehalten und ihr aus Versehen von dem Hinterhalt erzählt hatte. „Zum Glück, oder sollte ich sagen, dank des Zaubers, irrtümlicherweise für den Herrn der Krähen gehalten worden zu sein, mussten die Häscher mit leeren Händen abziehen.“
    Damals wusste Nyawĩra noch nichts von Vinjinias Verhaftung, und wie viele andere, die nicht Bescheid wussten, erfuhr sie erst viel später davon, dass der Herrscher Vinjinias Freilassung auf der gleichen Kabinettssitzung verfügt hatte, auf der auch die Idee einer Reihe von Staatsbesuchen in Europa und Amerika aufgekommen war.

13
    Machokali verließ die Kabinettssitzung getrieben von dem Verlangen herauszufinden, was Sikiokuus Männer Vinjinia gefragt hatten, und ein Treffen mit seinem Freund Tajirika bot die beste Gelegenheit, seine Neugier zu befriedigen, ohne bei seinen Feinden zu große Aufmerksamkeit zu erregen. Leider war ein solches Treffen mit Tajirika jedoch nicht möglich, weil Machokali schon bald vollauf damit beschäftigt war, Staatsbesuche zu organisieren. Da der eigentliche Zweck dieser Besuche ein Treffen mit den Direktoren der Global Bank war, um die letzten Einzelheiten für die Kredite für Marching to Heaven zu besprechen, standen die USA ganz oben auf der Liste. Zusätzliche Besuche in England, Deutschland, Frankreich und den skandinavischen Ländern sollten dem geplanten Geschäft Glanz und Seriosität verleihen. Aber es gelang Machokali nicht, Einladungen von diesen Ländern zu erhalten.
    Alle Botschafter gaben ihm mehr oder weniger dieselbe Antwort. Ein Staatsbesuch müsse auf gegenseitigem Interesse beruhen; und selbst wenn dieses bestünde, brauche es Zeit, die Einzelheiten auszuarbeiten. Machokali wusste, dass man einen Staatsbesuch nicht einfach herzaubern konnte, doch fiel es ihm schwer, das dem Herrscher klarzumachen, der ihn immer wieder daran erinnerte, dass er früher trotz des Kalten Krieges nie lange auf Einladungen zu Staatsbesuchen gewartet hatte – warum also jetzt, wo doch der Kalte Krieg vorbei war? Sikiokuu ließ natürlich keine Gelegenheit verstreichen, den Führer in seinen Mutmaßungen zu bestärken.
    So sprach er etwa beim Herrscher vor, um über den Stand der Jagd auf Nyawĩra und die Dinge zu berichten, die er von Vinjinia erfahren hatte. Weil es jedoch kaum etwas zu berichten gab, lenkte er das Gespräch geschickt auf das Thema Staatsbesuche und deutete an, die erforderlichen Einladungen wären längst ausgesprochen, wenn er dafür verantwortlich wäre. Obwohl der Herrscher ihn anfuhr, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und endlich die Verhaftung von Staatsfeinden wie diesem Weib Nyawĩra vermelden, gab Sikiokuu nicht auf. Durch seine Hartnäckigkeit gelang es ihm, den Herrscher zu überreden, auf die vage Einladung der Global Bank zurückzugreifen oder – noch besser – einen Privatbesuch zu machen und diesen, während seines Aufenthalts dort, in einen offiziellen oder gar einen Staatsbesuch

Weitere Kostenlose Bücher