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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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würden das Thema aufgreifen, aber keiner schien an dem, was ich sagte, interessiert zu sein. Jeder rang für sich mit den Dämonen, die von einer körperlich, geistig und seelisch erschöpften Person so Besitz ergreifen können, dass sie sich am hellen Tag funkelnde Sterne am Himmel einbildet …“
    Tajirika glaubte, Gespenster zu sehen. Die Blätter der drei Büsche vor ihm waren keine gewöhnlichen Blätter, sondern … Er traute seinen Augen nicht und versuchte mühsam, den anderen etwas zuzurufen. Er fand jedoch keine Worte und deutete deshalb nur mit dem Finger und flüsterte heiser: „Seht, bitte seht doch mal und sagt mir, ob das nicht wieder so ein Trick des Herrn der Krähen ist. Sagt mir, dass das keine amerikanischen Dollars sind, die hier an den Büschen wachsen!“
    „Keiner von uns glaubte, was er hörte. Wir sahen uns an und dachten dasselbe: Geldscheine, die an Bäumen wachsen? Tajirika ist verrückt geworden. Als wir genauer hinsahen, mussten wir zugeben, dass die Blätter tatsächlich wie amerikanische Dollars aussahen. Trotzdem hegten wir noch Zweifel, die jedoch verschwanden, als Tajirika Geldscheine aus seiner Tasche zog und mit zitternden Händen zu den Büschen hinüberging, um das, was er in der Hand hatte, mit dem zu vergleichen, was am Busch hing. Ehrlich, Haki ya Mungu , von der Stelle, an der wir saßen, konnte keiner einen Unterschied erkennen; wenn überhaupt, dann schienen die Scheine an den Büschen glatter und grüner und weniger zerknittert als die aus Tajirikas Tasche. Einige Blätter hatten winzige Löcher und ein paar waren an den Rändern eingerissen, aber unser Anführer Tajirika erklärte, das käme von Würmern und anderen Insekten, die vom Wert des Dollars keine Ahnung hätten.“
    Tajirika sank vor den Büschen auf die Knie und begann vor Freude zu weinen wie ein zum Tode Verurteilter, dessen Strafe in dem Augenblick umgewandelt wird, da die Hinrichtung unvermeidlich zu sein scheint und unmittelbar bevorsteht.
    „Wir sind gerettet!“, schrie er, und die anderen sprachen im Chor: „Amen.“

9
    Kaniũrũ, Machokali und Sikiokuu saßen noch immer zankend da, als wären die Zeit stehen geblieben. Der Herrscher schaute weiterhin von Zeit zu Zeit auf die Uhr und beachtete sie nicht. Es wird erzählt, dass angesichts dieser sonderbaren Szenerie zu guter Letzt die Chefs von Armee und Polizei in den Saal kamen, um herauszufinden, ob irgendetwas im Gange war. Doch nachdem sie sich vergewissert hatten, dass der Herrscher frisch und munter war, zogen sie sich wieder zurück und murmelten bei sich, Politiker reden eben gerne, und bewunderten ihre eigene Fähigkeit, sogar schweigend miteinander zu konferieren. Sie sind nicht wie wir Männer der Tat, sagten sie sich und beschlossen, nicht noch einmal zu stören. Sollen sie doch bis ans Ende der Zeit reden, wenn es ihnen gefällt.
    Das Telefon klingelte, und der Herrscher nahm ab.
    „Was? Was hast du gesagt?“, fragte der Herrscher. Seine Miene verdüsterte sich und seine Hände zitterten, ein Beben durchlief seinen Körper. Das State House, das ganze Land und das Volk spürten das Beben, und sie riefen sich die seismischen Störungen bei der Rückkehr des Herrschers aus Amerika ins Gedächtnis. Der Herrscher nahm diese Auswirkungen nicht wahr und fuhr fort:
    „Wie ist das möglich? … Are you pulling my leg?“, fragte er. „Drei von ihnen? … Okay, okay, eine Minute …“
    Er versuchte, die Sprechmuschel mit der Hand abzudecken, als ihm das aber nicht gelang, legte er sie auf seinen gewaltigen Bauch, drehte sich zu Machokali, Sikiokuu und Kaniũrũ, blickte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal und fragte sich: Was machen diese Eindringlinge hier? Dann fiel ihm ein, wie sie gezankt und gestritten hatten und er deshalb nicht schlafen konnte:
    „Verschwindet“, befahl er ihnen. „Ich werde mich später um euren Fall kümmern.“
    Als sie aufstanden, um zu gehen, forderte er sie auf, stehen zu bleiben, wo sie sich befanden, und ihm genau zuzuhören. Weil er niemals erfahren wolle, dass einer von ihnen auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verliere, was sie während ihres Aufenthalts im State House gesehen oder gehört haben, verlangte er von ihnen, ein Gelöbnis zu unterschreiben: „Ich werde niemals verraten, was ich im State House gesehen oder gehört habe.“ Das Maß seiner Vergebung werde er an der Anzahl der unterschriebenen Versprechen festmachen. Anschließend befahl er der Polizei, sie in ihren jeweiligen

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