Herr der Moore
Brandy stanken. Der Master sollte nicht zurückkehren und hineintreten, wohingegen sie etwas ruhiger wurde, indem sie sich einer solch schnöden Beschäftigung widmete. Vielleicht hatte er unbedingt die Toilette aufsuchen müssen und bis zuletzt gegen die Tür geklopft. Die Möglichkeit klang vernünftig, stand aber auf tönernen Füßen, denn angesichts seiner Verfassung hielt sie ihn nicht für stark genug, die Tür aus dem Rahmen zu schlagen, zumal sie auch nicht so fest geschlafen hatte. Sie wäre wach geworden, wie gerade eben, so er wirklich gegen das Holz gehämmert hätte.
Nachdem sie sachte mit den Scherben in der rechten Hand aufgestanden war, bückte sie sich nach der Lampe, ehe sie sich ein letztes Mal im Raum umschaute – nur für den Fall, er sei gefallen, und sie habe ihn wegen des Sessels nicht bemerkt.
Doch niemand war da. Verärgert schnalzte sie mit der Zunge; wäre sie doch bloß wach geblieben und für ihren kränkelnden Herrn da gewesen. Als sie sich umdrehte, schaute sie auf das Häufchen Glas in ihrer Hand.
Ein Fauchen erklang.
Mrs. Fletcher erstarrte, und ein Schatten, der am Rande ihres Gesichtskreises vorbeihuschte, lenkte ihren Blick in diese Richtung. Nichts war zu sehen.
»Master?«
Ein Rascheln ertönte oberhalb.
Sie wollte nicht aufschauen und bekam eine Gänsehaut, tat es aber zuletzt doch.
Das mannsgroße Etwas an der Decke glotzte sie gierig an. Seine Augen glühten weiß, und Mrs. Fletcher kreischte, vergaß das Glas darüber und ließ es wieder zu Boden fallen.
Ein schauerliches Schmatzen, und das Wesen ließ sich auf sie herabfallen.
24
»Ich hatte Angst, verstehen Sie?« Kate musste gegen den Wind anbrüllen, »aber allein lassen? Niemals.« Eine Pause. »Daddy, meine ich.«
»Er ist nicht allein. Mrs. Fletcher leistet ihm Gesellschaft«, entgegnete Grady, gleichwohl Jack Mansfields Worte ihm weiterhin zu schaffen machten und sich in einer endlosen Schleife wiederholten, dass sein Kopf schmerzte. Die Ereignisse dieser Nacht schienen allesamt vorherbestimmt zu sein und sich auf ein fatales Ende hin zuzuspitzen.
Ich könnte umkehren , fiel ihm plötzlich ein, und sein Herz schlug schneller. Zurückreiten, dann aus dem Dorf hinaus und weiter bis zum Morgengrauen. Kate sollte nicht an diesem verfluchten Ort bleiben; so würde ich ihr Leben retten.
Vor allem dein eigenes , drängte sich ein anderer, nicht so milder Teil seines Selbst auf, und Grady fluchte leise. Die Vorstellung, ein Zusammentreffen mit diesen Kreaturen und ihrem Gebieter zu vermeiden, reizte ihn genauso wie die Aussicht darauf, Kate alles zu ersparen, was sich daraus ergeben mochte, doch er wusste sicher: Nie hätte er in Frieden weiterleben können, ohne zu wissen, ob Neil in diesem Moment noch lebte und bangte, er möge ihn retten, denn dann wäre er ihm nicht beigesprungen, weil …
Weil ich mich zu Tode fürchte.
Das Pferd geriet ein wenig ins Wanken, als es über eine sumpfige Stelle im Gras trabte, woraufhin Grady sofort die Zügel herumriss, um es auf festen Grund zu lenken. »Ruhig, Mädchen«, beschwichtigte er. Das Licht ihrer Lampen richtete wenig gegen den strömenden Regen aus, doch ohne wäre er sich noch verlassener vorgekommen. Er wollte sich nicht ausmalen, wie sich der Weg durchs Moor in völliger Finsternis gestalten mochte, besonders mit der Gewissheit, dass sie ihn beobachteten – Geschöpfe, die ihn als Beute ansahen.
»Was erwartet uns hier draußen?«, fragte Kate, als habe sie seine Gedanken gelesen.
Immer wieder war es ihm im Laufe der Jahre vorgekommen, als besitze sie die absonderliche Gabe, sich ins Sinnen anderer Menschen und insbesondere sein eigenes einzufinden. Er führte es darauf zurück, dass es vielen Leuten so gehen mochte, die lange Zeit miteinander verbrachten. Trotzdem verblüffte es ihn immer wieder. Jetzt allerdings wünschte er sich, besser auf seine Hirnwindungen achtgegeben zu haben.
»Kann ich nicht genau sagen«, gestand er.
»Dieses Ding, von dem Sie erzählten«, fuhr sie fort, »und das den Mann ermordete, der sie damals begleitete, halten Sie es für die Bestie von Brent Prior?«
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Was ist es sonst?«
Obwohl er sie nicht noch weiter beunruhigen wollte, war ihr mit Lügen genauso wenig geholfen, und sie auf das vorzubereiten, was ihnen beiden bald begegnen mochte, konnte nicht schaden. »Etwas anderes«, erwiderte er. »Etwas Schrecklicheres.«
»Schrecklicher? Was übertrifft ein schwerfälliges Untier
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