Herr der Nacht
schützen, denn es gehörte nicht zum Königreich der Erde und hatte seine eigenen Herrscher. In der Sekunde, bevor die Wasser ihn hinunterschlangen, schrie Sivesch laut einen Namen. Es war der Name Asrharns, und in diesem Namen lag aller Schmerz und alle Einsamkeit und Verzweiflung und Anklage, die nur irgendeine sterbliche Kehle ausstoßen konnte. Dann schluckten die Wellen, und der Morgen war von Ruhe erfüllt.
Ob Asrharn diesen letzten Schrei hörte? Wer weiß? Vielleicht beobachtete er das Ende des Jünglings in einem Zauberspiegel und sah ihn ertrinken. Vielleicht spürte er für einen Augenblick etwas von jenem ungeheuren Schmerz in seiner eigenen Kehle, und in seinem Mund, der so herrlich sprach und mit solchem Liebreiz, erschien vielleicht für den Bruchteil eines Augenblicks ein Geschmack von grünem Salzwasser.
*
Es wird erzählt, daß in Druhim Vanaschta ein großes Feuer entzündet wurde, und daß in dem Feuer der Palast verbrannt wurde, den Asrharn für Sivesch gebaut hatte. Als sein Juwelendach einstürzte, sprang ein riesiges, grelles Licht nach oben und ätzte die Augen aller, die zusahen; ein Licht, das zu wild war, um in der Unterwelt willkommen zu sein, denn es glich dem Licht der Sonne.
TEIL ZWEI
4
Sieben Tränen
Weit unten in der Unterwelt, doch außerhalb der phosphoreszierenden Mauern und schimmernden Spitztürme Druhim Vanaschtas, lag ein großer dunkler Spiegel-See zwischen Ufern aus schwarzen Felsen. Hier arbeiteten die Drin all die unveränderlichen Tag-Nächte hindurch an ihren Ambossen, die Schmiedeessen rauchten, und die Hammerschläge erklangen laut.
Die Drin hatten nichts von der Schönheit der höheren Ränge der Dämonen, der Vazdru – die Prinzen waren – oder der Eschva, ihrer Diener und Dienerinnen. Die Drin waren kleinwüchsig und grotesk und voller kleiner, grotesker Scherze. Sie liebten es, Unheil zu stiften wie ihre Herren, aber sie hatten selten eigene Ideen, wie sie es anstellen sollten. Deshalb dienten sie den Vazdru, besorgten Botengänge für die Eschva, und wenn mächtige sterbliche Zauberer ihre Gebräue und Beschwörungen ansetzten, pflegten die Drin hinauf zur Erde zu eilen, um ihnen zu helfen, und säten, wo es möglich war, mehr Leid und Jammer als die Zauberer erwartet hatten.
Und eine andere Sache gab es noch, die sie tun konnten; sie konnten Metalle schmieden. Wenn sie auch nicht selbst schön waren, so konnten sie doch schöne Dinge herstellen. Sie hämmerten Ohrringe für Dämoninnen, Ringe für Dämonenprinzen, Becher und Schlüssel und mechanische Silbervögel, die um die Palasttürme Asrharns, des Herrschers aller Dämonen, flogen. Und einmal hatten sie für einen sterblichen Jüngling, dem Asrharn geneigt war, ein Herrenhaus aus Gold gebaut, von dem indessen nun nichts mehr übrig war als goldene Asche.
Da gab es einen Drin mit Namen Vayi: er gab sich ehrgeizigen Vorstellungen hin, und manchmal streifte er am See herum und suchte die kostbaren Steine oder durchsichtigen Bergkristalle, die an gewissen Stellen der düsteren Ufer umherlagen, und dachte: Bald werde ich den prächtigsten Ring von der Unterwelt machen, und Asrharn wird ihn tragen und mich dafür loben , oder: Ich werde ein Zaubertier aus Metall erschaffen, das alle Zungen vor Staunen zum Schweigen bringen soll. Denn Vayi wünschte sich über alles, Besseres zu vollbringen als all die anderen Drin, die sorglos hämmerten und sich abmühten. Er wollte einzigartig und bekannt sein. Manchmal träumte er davon, als der Liebling des Dämonenprinzen in Asrharns Palast zu leben. Nichts würde für Vayi dann zu gut sein. Andere Male dachte er daran, auf die Erdoberfläche zu gehen und sich an den Höfen berühmter Könige im Erfolg zu baden: berühmt und von allen geehrt und mit einer besonderen, mit Samt ausgeschlagenen Tages-Kiste versehen, in der er sich vor der unangenehmen Sonne verbergen konnte.
Als er umherlief und träumte und vor sich hin murmelte, sah Vayi plötzlich gerade vor sich eine Gestalt, die sich am Seenrand entlang bewegte. Er wußte sofort, daß es kein Drin war, dafür war sie zu groß, zu schlank und, obwohl er sie nur von hinten sah, irgendwie zu schön. Möglicherweise war ein prachtvolles Vazdru- oder Eschva-Fräulein gekommen, um ein wunderbares Juwel zu bitten, und bereit, Bezahlung in einer besonderen Weise anzubieten, die den Drin sehr angenehm war. Vayi trippelte verstohlen hinter ihr her, und bald setzte sie sich auf einen Felsen vor dem See. Dann fiel ihr
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