Herr der Nacht
geschliffener Stahl.
*
Es war spät, als das Schiff kam. Es lag weit draußen am Horizont und bewegte sich nicht weiter, nachdem es einmal erschienen war.
Sivesch hörte die Musik im Wind. Er dachte: Meine Geliebte hält das Schiff an, sie wartet darauf, daß ich zu ihr reite. So gab er der Stute die Sporen, die sie kaum brauchte, denn sie war froh, losrennen zu können.
Ihre Hufe schossen wie Zymbeln durch den Schaum auf dem silbrigen Pfad, der vom Blumen-Turm-Schiff zur Küste hin gespiegelt wurde.
Sivesch rief der Stute zu, der Nacht, dem Mädchen in dem Turm. Er war erfüllt von einer Art außergewöhnlicher, blinder Glückseligkeit, wie nur das Opfer einer Verwünschung sie kennen konnte, einer Glückseligkeit, der Flamme einer Kerze gleich, die abbrennt, während sie erstrahlt, und am hellsten leuchtet in dem Augenblick, bevor sie erlöscht.
Als er ungefähr noch eine viertel Meile vom Schiff entfernt war, begann dieses sich gemächlich von ihm weg zu bewegen. Es erschien ihm weder drohend noch verwunderlich. Es war wie eine ergötzliche Verspieltheit, ein von dem Mädchen in dem Turm ersonnenes Spiel, um zu sehen, ob er folgen würde. Außerdem bewegte sich das Schiff nur sehr langsam, allerdings irgendwie gerade schnell genug, daß er soeben nicht damit Schritt halten konnte, so sehr er sich auch mühen mochte.
Durch das Stöhnen der See, die verzauberte Musik, das Klingeln des Geschirrs, durch alles hindurch erreichte eine Stimme den Dahinreitenden, die aus dem Wind selbst gemacht war. Er wußte nicht, was sie herbeibrachte, er erinnerte sich nicht, wem sie gehört hatte, aber die Worte, die sie sprach, wiederholten sich immer wieder in seinen Ohren: »Auch du bist ein Narr, Erdgeborener, daß du dein Vertrauen setzt in Dämonenart und eine Stute aus Rauch und Nacht reitest. Was Dämonen lieben, das vernichten sie zuletzt, und die Geschenke von Dämonen sind Fallstricke.« Auf einmal sah er sich selbst, als ob er eine Möwe wäre, die oben am Himmel ihre Kreise zog: ein Mann auf einem Pferd, das schamlos auf einem Pfad aus Licht über das Meer ritt; und dies Licht fiel aufs Wasser von einem Schiff, das sich für immer von ihm entfernte. Eine kalte Schlange wand sich in Siveschs Innern. Er zügelte das Pferd und blickte hinter sich. Wie fern die Küste war: nur noch eine Linie, wie von lavendelfarbener Kreide gezogen, die Wasser und Luft teilte. Er sah noch etwas anderes, als er zurückblickte, etwas, das bisher sein Herz immer mit Freude erfüllt hatte. Der Osten erbleichte, sanft wie die Brust einer Taube. Bald würde die Sonne des Tages aufgehen.
Der frische Wind der Dämmerung blies stärker.
»Deine Träume werden dich verraten«, sang die Stimme des Windes. »Gehe nirgendwohin auf einem Pferd, das schwindet.«
Sivesch stöhnte auf vor Entsetzen und Angst. Er wendete die Dämonenstute und ließ das fliehende Schiff hinter sich. In dem Moment jedoch, als es den leuchtenden Osten erblickte, wieherte das Pferd und bäumte sich auf vor Schrecken.
Sivesch hielt die Stute fest im Zaum. Er schmeichelte ihr mit Koseworten oder verfluchte sie. Er zwang sie, auf die ferne Küste loszugaloppieren, fort über die mächtig rollende See, die anfing wie Perlmutt zu leuchten. Schließlich stürmte sie dahin wie ein Wirbelwind; ihre Mähne peitschte sein Gesicht. Sie schnaubte und stierte vor Angst.
Sivesch schaute zurück. Das silberne Schiff war im heller werdenden Himmel durchsichtig geworden, es flackerte wie Schatten vorm Licht, dann war es verschwunden. Und nun ging die Sonne auf.
Sie ging auf wie der Phönix, der ganze Osten öffnete sich wie eine Blume. Die Strahlen ihres ungeheuren Lichts bahnten sich einen Weg über die See, so daß nun ein Pfad aus Gold, nicht mehr aus Silber, dalag wie gemalt, und als die Feuerpfeile die Dämonenstute trafen, gab sie einen Schrei von sich, der schrecklicher war als irgendein berechtigter Laut der Erde; die brennenden Lichtspeere schienen sie völlig zu durchdringen.
Sofort fühlte Sivesch, wie die Zügel sich in seinen Händen auflösten; die Steigbügel zerronnen wie Wachs. Als nächstes fiel der feste Körper des Pferdes in sich zusammen und zerknüllte wie ein Papierding. Sivesch starrte auf sie hinunter. Sie war nur ein Streifen aus Nachtnebel unter ihm, der in der Sonne dahinschwand.
Er fiel. Das Meer empfing ihn mit gierig geöffnetem Schlund. Er war nicht gefeit gegen das Meer. Selbst der Prinz der Dämonen war nicht in der Lage gewesen, ihn dagegen zu
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