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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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heiß dir ist. Weißt du was, ich sah gerade, wie zwei Männer eine Truhe in den Fluß warfen, die bemerkenswerte Ähnlichkeit hatte mit unserer eigenen unten im Laden, und als ich anhielt und sie fragte, was sie da täten, lachten sie und sagten, irgendein alter Idiot habe ihnen je ein Goldstück gegeben, damit sie es täten.«
    »Schweig still!« brüllte der Juwelier aufspringend. »Sprich nicht mehr darüber, oder ich werde dich aus dem Haus werfen.«
    Die Frau des Juweliers war äußerst erstaunt, denn ihr Mann war bisher immer ein sehr gemäßigter Mensch gewesen. Demzufolge fing sie an, ihn sorgfältig zu beobachten. Stell dir daher ihre Überraschung und ihren Schrecken vor, als der Mann, der von seinem Schatz ziemlich besessen war und glaubte, sie schlafe fest – was sie auch vorgab – sich mitten in der Nacht aus dem Bett schlich und davonkroch. Sie folgte ihm jedoch sofort und sah daher genau, wie er sich verhielt: zuerst nahm er einen Schlüssel aus dem Kamin, den er dann für einen oberen Raum benutzte, ging in den Raum und verschloß die Tür wieder von innen. Es ist wohl nicht verwunderlich, daß die Frau sich hinkniete und ihr Auge ans Schlüsselloch hielt; aber sie konnte nur sehr wenig sehen, nur eine Menge Behältnisse, die geöffnet wurden, und ihren Mann, der sich über etwas bückte und leise vor sich hin sang, und als eine Maus über den Fußboden lief, wütend: »Schscht! Schscht!« zischte.
    Die Frau des Juweliers stand auf und ging leise wieder ins Bett, aber ihr Mann kam erst nach drei oder vier Stunden zurück.
    Was kann er nur da oben haben? wunderte sich seine Frau und dachte an gewisse Geschichten der Märchenerzähler in den Straßen von unsichtbaren Geistern und gewissen erregenden Künsten, die sie im Tausch für menschliches Blut oder Seelen anwandten.
    In der nächsten Nacht war es dasselbe, ebenso in der Nacht danach, und die Frau geriet ziemlich außer sich vor Angst und Neugier.
    »Hör zu«, sagte sie zu ihrem Mann am vierten Tag, »ich denke, ich werde die Rumpelkammer oben ausräumen.«
    »Nein!« schrie der Juwelier, »ich verbiete dir, dem Raum auch nur nahezukommen. Wage nur nicht, einen einzigen Finger an diesen Raum zu legen, oder ich werde dich durch die Straßen peitschen lassen.«
    »Wie du willst«, sagte die Frau. Aber sie beschloß, daß sie zu Gesicht bekäme, was ihren Mann gar so närrisch machte, was immer es auch sein mochte.
    Den nämlichen Tag, als es geschah, hatte der Mann geschäftlich außer Haus zu tun.
    »Schließ die Tür ab und laß niemanden herein, bis ich zurück bin«, sagte er, »und gib acht, daß du hier unten bleibst und deine Arbeit tust und es unterläßt, herumzuschnüffeln.«
    »Gewiß, o bester aller Männer«, murmelte die Juweliersfrau. Aber sobald er gegangen war, machte sie sich auch schon auf den Weg. Zuerst zum Kamin, dann die Treppen hinauf, in das Zimmer, in die Truhe, in die Kästchen, und …
    »Ah!« rief die Frau des Juweliers aus.
    Als sie das Halsband in ihren Händen hielt, verfiel sie nach kurzer Zeit in Gedanken folgender Art: Diese Kette kann gleichgut von einem Mann oder einer Frau getragen werden, daher wird sie mir sehr gut stehen. Aber wenn mein Mann zurückkommt und sieht, was ich getan habe, wird er sie mich nie und nimmer tragen lassen; er wird mich auspeitschen oder noch schlimmer bestrafen. Daher – und es schien ihr ganz natürlich – lief sie hinunter zum Flußhafen, wo sich eine kleine, dunkle Hütte befand, und kaufte da eine gewisse Medizin und rannte damit wieder nach Hause.
    Als der Juwelier zur Tür hereinkam, fand er sein liebendes Weib, das ihn mit einem bis zum Rand gefüllten Pokal erwartete.
    »Wie sehr habe ich dich vermißt!« rief sie. »Und sieh, ich habe dir einen gewürzten Wein zubereitet.«
    Der Juwelier trank und fiel sofort tot um, denn sein liebes Weib hatte die Medizin in den Trank geschüttet.
    Was für ein Wehklagen dann da anhub, und die Nachbarn kamen herbeigelaufen, um die arme Witwe zu trösten, denn sie schöpften keinerlei Verdacht. Aber kaum war der Juwelier unter der Erde, als sie auch schon seinen Laden und all seine Waren verkaufte und in ein feines Haus zog, wo sie sich Pfauen hielt, die über den Rasen stolzierten, schwarzen Samt trug, und das märchenhafte Halsband immer auf ihrer Brust glitzern ließ.
    *
    Der König der Stadt hatte auch einige Frauen, und eine davon war seine Königin. Sie trug einen mit Smaragden besetzten Schleier aus Goldfäden und pflegte

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