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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Gesicht eine eiserne Maske, die selbst Gesichtszüge wie die einer schönen Frau eingraviert hatte, und nur die Stirn und Augen sehen ließ, und ihr wildes rotes Haar. Mit ihrem Eisenhandschuh zeigte sie auf den König, und welche Verwandlung bewirkte sie in ihm! Er schien zu schrumpfen, kleiner zu werden, sich zu kräuseln wie ein Blatt auf heißer Asche, schließlich war nur noch dies von ihm übrig: eine kleine, trockene Eidechse, die sich in den Stuhl drückte, und dann plötzlich hinunter in den dunklen Garten sprang. Und als sie davonschoß, zerquetschte Zorayas ihren Schwanz mit ihrem Absatz.
    Zorayas lächelte unter ihrer Maske ihr heißes, entstelltes Lächeln, aber die Eisenlippen über ihren eigenen blieben unversöhnlich und gefühllos.
    Sie marschierte mit ihrer Drin-Wache in den Palastsaal und rief dort den Hof des Königs zusammen.
    »Seht gut her!« sagte sie. »Ich bin jetzt eure Herrscherin, und ich werde über euch herrschen, wie mein Vater vor langer Zeit über Zojad geherrscht hat, denn ich bin Zorayas, die dreizehnte Tochter von Zoraschad. Ich behaupte nicht, eine Göttin zu sein, das ist wahr, aber ich behaupte, daß ich mehr Macht habe als irgend jemand anders in diesen siebzehn Ländern, die sich in alle Richtungen bis zu den blauen Feldern des Meeres erstrecken. Dient mir, wenn ihr wollt, und gedeiht. Widersetzt euch, und ihr werdet sehen, wie ich euch alle durch diese meine Anhänger, die Drin, die Kleinen von Unterwelt, ersetzen werde. Oder ihr könnt euren König im Garten suchen: auf vier kleinen Eidechsenfüßen, die ich euch auch geben werde, so daß ihr rennen mögt wie er, der jetzt vor seinem gebrochenen Schwanz herrennt.« Die Drin kicherten und klatschten zu diesen Worten, und der weißgesichtige Hof fiel klugerweise auf die Knie und erwies ihr seine Verehrung.
    Auf diese Weise geschah es, daß Zorayas Königin von Zojad wurde, und also wurden neue Statuen in der Stadt aufgestellt, um jene zu ersetzen, welche von den sechzehn Königen eingeschmolzen worden waren. Doch niemals beanspruchte sie, eine Göttin zu sein; tatsächlich waren ihre Zauber genug, um Furcht in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Und bald begannen in Zojad wieder Armeen wie Unkraut zu wachsen, Armeen aus Bronze und Eisen, und sie hatte jene sechzehn Länder für sich zurückerobert, die verlorengegangen waren, als Zoraschads Amulett zerstört wurde.
3
Der Sternenpavillon
    Viele Geschichten wurden damals über die Eisen-Prinzessin erzählt, die an der Spitze ihrer Armee ritt, und manche davon waren wahr und manche nicht. Sie war eine mächtige Hexe, sie war unverwundbar, Dämonen marschierten in ihren Reihen. Sie verdeckte ihr Gesicht, denn sein Anblick würde den, der es sah, in Feuer versengen oder in Granit verwandeln oder wie in Säure auflösen, doch andere sagten, sie sei so schön, daß kein Mann sie ansehen könne, ohne den Verstand zu verlieren, und daß ein Lächeln von ihr den Mond verdunkle, und ein finsterer Blick von ihr töte die Sonne.
    In einem Jahr hatte sie alles zurückgewonnen, was man ihr entrissen hatte, und mehr, und sie saß in ihrem kupfernen Zauberturm oder auf dem großen Thron von Zojad in ihrer Eisenmaske und herrschte mit eiserner Hand, und wenn sie auch nicht glücklich war, war sie doch nichts weniger als hilflos auf Erden, und sie brannte in einer Flamme des Stolzes, die so heiß zu sein schien wie jegliche Freude.
    Und dann kam der Tag, an dem alles getan war: ihr Reich war riesig und unangreifbar, ihr Ruhm befestigt, alle ihre Ziele erreicht, ihre Hoffnungen erfüllt, und es blieb nichts übrig – außer einer Leere, die hereinbrach wie eine kalte See und ihr Herz überflutete.
    So saß sie da in Gedanken, und aus der kalten See erhob sich ein letzter Traum, ein Traum, so tollkühn und unmöglich, daß er ihre Welt wieder in ein glänzendes Licht tauchte.
    Sie hatte ihre Rache voll ausgekostet: an dem König, der sich über sie lustig gemacht hatte, an den sechzehn anderen Königen, die Zoraschad erschlagen und ihr Geburtsrecht an sich gerissen hatten; nur ein Wesen blieb übrig, das ihr keine Entschädigung für die Jahre des Zweifels und der Demütigung und für ihr entstelltes Gesicht bezahlt hatte. Dieses eine Wesen war er, mit dessen eigener, gleichgültiger Rache alles begonnen hatte: der Herrscher der Unteren Länder, Gebieter der Vazdru, Eschva, Drin, einer der Herren der Nacht: Asrharn, Prinz der Dämonen.
    Bei dieser plötzlichen Eingebung raste das Herz

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