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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Zorayas’. Aber sie prahlte nicht laut wie Zoraschad getan hatte. Sie behielt es für sich und ging nur öfter in ihren hohen Kupferturm. Und dort, bei den Flammen des blauen und glanzlosen Feuers, ging sie Nacht für Nacht durch jene Türen der Macht, die ihr nun so vertraut waren.
    Schließlich stand sie in dem Turm und rief jene Dämonen, die auf der Erde in der Gestalt fremdartiger Tiere und Bestien erschienen: die Drindra, die Niedrigsten der Drin, und die Dümmsten und Boshaftesten. Bald war der achteckige Raum voller grunzender, winselnder, schnatternder Wesen, die vor dem Eisenfinger der Prinzessin davonsprangen.
    »Seid ruhig und gebt acht«, sagte sie, »denn ich möchte euch Fragen stellen.«
    »Wir sind eure Sklaven, unvergleichliche Herrin«, schweifwedelten die Drindra, während ihr Geifer auf ihre Stiefel tropfte und sie den Boden vor ihren Füßen leckten.
    »Nein«, sagte Zorayas steinern, »ihr seid die Sklaven eures Gebieters, Asrharn, des Schönen, und über ihn möchte ich etwas erfahren.«
    Bei diesen Worten erröteten die Drindra und zitterten, denn sie liebten ihren Prinzen leidenschaftlich und fürchteten ihn gleichzeitig sehr. Zorayas wußte, daß sie vorsichtig vorgehen müsse, denn Auskunft über Unterwelt zu erhalten, war sehr schwierig, da kein Dämon gezwungen werden konnte, etwas von sich aus zu erzählen. Nur wenn die Vermutungen des Fragestellers richtig waren, mußten sie wahrheitsgemäß antworten; und selbst dann versuchten sie Listen und Winkelzüge, wenn sie konnten.
    »Es ist bekannt«, begann sie daher, »daß es gewisse Andenken gibt, mit denen man die Dämonen der Eschva und Vazdru herbeirufen kann. Ist es möglich, daß es Andenken gibt, die sogar Asrharn, den Schönen, herbeirufen?«
    Die Drindra zwitscherten miteinander und sagten: »Nein, nein, unvergleichliche Königin, nichts dergleichen kann von Sterblichen geschaffen werden.«
    »Sagte ich Andenken, die von Sterblichen geschaffen wurden? Ich denke an wundersame Pfeifen aus Silber, die in Unterwelt als Spielzeuge für Freunde und Geliebte hergestellt werden. Gibt es solche, und kann irgendeine davon Asrharn rufen?«
    »Gewiß«, zischten die Drindra mit jammervollen Stimmen, »so ist es.«
    »Ist es dann möglich, daß einige dieser Pfeifen sich auf der Erde befinden?«
    »Wie könnte es sein«, zirpten die Dämonen, »daß solchen Pfeifen erlaubt wäre, die Erde zu erreichen?«
    »Das ist nicht, was ich euch gefragt habe«, schrie Zorayas, und sie schlug ihre Eisenfäuste zusammen, worauf ein Blitz aus stählernem Feuer wie eine Peitsche herausschoß, der die Drindra auseinanderspritzen und fauchen ließ. »Seid friedlich, süße Herrin«, wimmerten sie, »Ihr habt recht, und Eure Weisheit erstrahlt wie ein kostbares Juwel.«
    »Wie viele dieser Pfeifen befinden sich auf der Erde? Sieben?«
    Die Drindra jammerten aber und gaben keine Antwort.
    »Mehr als sieben? Weniger als sieben?«
    »Ja.«
    »Drei?« fragte Zorayas, »zwei?« Und dann, ärgerlich: »Nur eine?« Und die Drindra stimmten zu. »Wo liegt sie denn? Auf der Erde? Unter Wasser?«
    »Ja!«
    »Unter dem Meer?«
    »Ja!«
    Zorayas ließ ein höhnisches Lachen ertönen, und die Drindra duckten sich. »Ja, tatsächlich«, sagte sie, »ich habe von solch einer Pfeife erzählen gehört: den Schlangenkopf, den euer Gebieter einem Jüngling gab, der ihm teuer war, vor hunderttausend Jahren – Sivesch, der am Grund des Meeres liegt, wo Asrharn ihn ertrinken ließ, mit der Silberpfeife um den zarten Hals, der jetzt nur noch aus Knochen besteht.«
    Die Drindra schlugen mit ihren Schwänzen und flüsterten: »Gewiß«, wie der Dampf von Wasser, das auf heißes Metall fällt.
    *
    Zorayas würde sich selbst in einen Fisch verwandelt haben und wäre hinuntergeschwommen, um die Zauberpfeife zu holen, aber es war sehr gefährlich, selbst für einen Zauberer, eine Tiergestalt oder irgendeine Gestalt anzunehmen, die nicht seine eigene war, denn sehr schnell würde er seine menschlichen Eigenschaften und sein Denkvermögen verlieren und anfangen, genau wie das Tier zu denken, dessen Gestalt er angenommen hatte. Es gab viele Geschichten von großen Zauberern, die, um einem Unglück zu entgehen oder ein Geheimnis zu entdecken, sich in Tiere verwandelt hatten, in Reptilien oder Vögel der Luft, und dann vergaßen sie all ihre Zaubersprüche und sogar, wer sie waren, und verbrachten auf diese Weise, umherkriechend oder flatternd, den Rest ihrer Tage. Deshalb verpflichtete

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