Herr der Nacht
Zorayas einen der Drindra durch schreckliche Zauber und zwang ihn, die Pfeife für sie zu holen, wozu er ansonsten auf keinen Fall willens gewesen wäre.
»Seid versichert«, sagte Zorayas, »ich wünsche nur, euren Prinzen zu ehren, nicht ihn zu erzürnen, denn indirekt ist er verantwortlich für mein gegenwärtiges Glück.«
Auf diese Weise durch Zauber gebunden, schwamm der Drindra durch die Wasser des Meeres hinunter an einen Ort, wo milchweiße Knochen auf dem Sand lagen. Hier hatten sich die Geschöpfe des Ozeans vor tausend Jahren staunend versammelt, und die Seejungfrauen mit ihren eisgrünen Haarflechten küßten mit ihren kalten Lippen die noch kälteren Lippen des toten Jünglings, berührten mit ihren kalten, spitzen Zungen die zwei Juwelen seiner Brust und den dreifachen Schatz seiner Lenden. Aber Sivesch bewegte sich nicht. Nur die Strömung kämmte sein Haar, wie Dämonenfinger es einst gekämmt hatten, und seine weiten Augen waren voll wie von Tränen aus Unglück und Verzweiflung. Schließlich verließen die Seevölker ihn, und die Wasser vertilgten ihn und ließen nur seine Knochen übrig – und die Schlangenpfeife um seinen Hals. Der Drindra riß sie schnatternd los, eilte zurück in Zorayas’ Kupferturm und legte die Pfeife zu ihren Füßen nieder, Seetang hing noch an ihr.
Zorayas hob die Pfeife auf und starrte darauf, eine Stunde oder mehr.
Sie hatte sich in den großen Palastgärten einen wundersamen Pavillon mit rabenschwarzen Granitwänden bauen lassen, ohne Fenster in den Wänden, der Boden mit Ziegeln aus reinem Gold ausgelegt; doch die Decke des Pavillons war das merkwürdigste von allem. Sie bestand aus einem düsteren, tintenschwarzen Glas, das kein Licht widerspiegelte, und das undurchsichtig war, und hier und da waren bleiche Diamanten, Saphire, Zirkonen in der genauen Position der Sterne eingesetzt. So geschickt war die Handwerkskunst dieser Decke, daß, wenn du im Innern des Pavillons nach oben schautest, du annehmen würdest, es gäbe überhaupt kein Dach sondern nur den Nachthimmel mit seinen kleinen Feuern hoch oben. An einem Ende der Kammer, gegenüber der Doppeltür, hing eine dicke Samtschnur herab.
Hier in diesem Pavillon, neben dieser Schnur, saß Zorayas mit der Schlangenpfeife in ihrer Hand, während der Mond aufging und die Glocken von Zojad die Nachtstunden schlugen. Bald darauf ging der Mond unter, und sie schlugen das letzte Viertel vor Sonnenaufgang. Da hielt Zorayas die Pfeife an den kleinen Einschnitt in ihrer Maske und blies.
Es gab keinen Ton, zumindest keinen, der auf der Erde hätte gehört werden können. Dann war die Luft plötzlich von einem metallenen Donner erfüllt, und durch die Doppeltür brach ein Blitz. Zorayas streckte die Hand aus und zog die Samtschnur nach links, und die Türen fielen hallend wieder zu. Der Blitz löste sich inzwischen in die Gestalt eines riesigen Drachen auf, von dessen Maul geschmolzenes Lava troff wie zwanzig Zungen.
Aber Zorayas sagte nur:
»Sei ruhig, Erhabener. Ich bin durch meine Zauber vor deinem feurigen Atem geschützt. Willst du mir nicht gestatten, dich so zu sehen wie mein Vater, Zoraschad?«
Bei diesen Worten schien der Drache dahinzuschmelzen und zu schwinden, und dort in dem Pavillon stand ein großer und wunderbar schöner Mann in einem schwarzen Umhang wie mit Flügeln.
Zorayas schaute ihn an, und ihre Sinne waren verwirrt ob seiner Schönheit, wie alle sterblichen Sinne, aber zugleich hüpfte ihr Herz vor Siegesfreude.
»Herr der Nacht«, sagte sie, »vergib deiner Dienerin, daß sie dich hierher gebeten hat. Zufällig fand ich diese Pfeife, und da ich aus einer alten Fabel weiß, daß sie dich rufen würde, wie konnte ich der Gelegenheit widerstehen, deine Gestalt zu betrachten, o Prinz der Prinzen?«
Sie kannte die Eitelkeit der Dämonen und hatte ihn genau so angesprochen, wie sie sollte. Asrharn schien weder grimmig noch fragend zu sein, nur ein wenig amüsiert.
»Dann mußt du auch wissen«, sagte er, »daß du einen Wunsch frei hast, wenn du mich rufst.«
»Alles, was ich erbitte, o Unvergleichliche Herrlichkeit, ist, dich anzuschauen und dir meinen Dank abzustatten und deine Pfeife zurückzugeben, die rechtmäßig dir gehört.«
Und sie ging hinunter zu ihm und gab ihm die Pfeife, die er entgegennahm. Und die Berührung seiner Hand war selbst durch den Eisenhandschuh hindurch wie eine kühle Flamme, die ihre armen, verdrehten Finger in Schmerz aufheulen und jede Narbe in ihrem zerstörten
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