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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Gesicht, eine Maske, die so aufregend und lebensecht war, daß jedermann glaubte, es sei ihr wirkliches Gesicht, und sie war für ihre Lieblichkeit berühmt. Dann, als die härtesten Nächte des Winters kamen, welche die Binsen am Teichrand in gläserne Speere aus Jade verwandelten, wurden ihre Träume ebenfalls kälter und härter. Nun ritt sie an Zoraschads statt, war in sein Eisen gekleidet und trug eine eiserne Maske und ein großes Diadem in ihrem Haar. Sie herrschte über Zojad, herrschte über alle sechzehn Vasallenstädte, wie er über sie geherrscht hatte; sie war des Königs Tochter, Zorayas, Königin und Herrscherin, und hinter ihrem Wagen schwankten Gefangene in Ketten, unter anderem der junge König, der sich über sie lustig gemacht hatte. Jeder, der sie nun sah; das maskierte Gesicht, das nur die schönen Augen und die klare Stirn und das kräftige rote Haar freiließ, flüsterte, daß sie Schönheit verberge, nicht Häßlichkeit. Zorayas war so schön, daß der wunderbare Anblick ihres unmaskierten Gesichts sie wie ein Blitzstrahl träfe.
    Eines Nachts, als sie sich mit dieser glorreichen und quälenden Fantasie hin und her wälzte, sprang sie auf und rannte hinaus und schrie laut mit einer Stimme wie brechendes Eis. »Was soll ich tun?« fragte sie sich und legte sich auf den Boden und preßte ihr Ohr daran, als ob sie eine Antwort hörte.
    Eine Antwort kam. Tatsächlich schien sie von der Erde zu kommen, vielleicht von Unterwelt. Sie sah vor sich eine Reihe von Eingängen, fest verschlossen; einige hatten Schlüssel in ihren Schlössern stecken, die nur darauf warteten, umgedreht zu werden, die Schlüssel von anderen lagen in einem großen Haufen zwischen den Schatten. Es waren jene Türen zu dunklem Zauber, vor denen sich zu hüten der Priester sie gebeten hatte, und die zu betreten sie bisher niemals erwogen hatte.
    Aber Zoraschads Tochter unterdrückte das Bild. Sie wendete sich davon ab und ging in ihre Höhle zurück, kälter als die kalte Nacht.
    Am Morgen wurde sie von einer Stimme außerhalb der Höhle geweckt, die nach ihr, nach ihrer Hilfe rief. Es war die erste Stimme, die sie jemals gehört hatte, die auf diese Art ausdrücklich nach ihr gerufen hatte. Trotz ihres Vorbehalts wurde ihr leichter ums Herz. Jemand hatte von ihrer Anwesenheit hier erfahren, daß sie der Lehrling des Priesters gewesen war. Jemand brauchte ihre Güte, bat sie darum.
    Das Bedürfnis, gebraucht zu werden, notwendig zu sein: ein Geschenk.
    Sie ging hinaus; sie fühlte sich unsicher, wie auf Messers Schneide, denn dies mochte die Antwort auf ihre Frage sein.
    Ein Mann stand zwischen den frostigen Bäumen. Er war ein Hausierer, sein Handkarren mit Waren stand in der Nähe. Ein Mann mit dunkler Haut, kleinen, hellen Augen und einem Fuchslächeln. Er verbeugte sich, höflicher als ein Prinz.
    »Was fehlt dir?« fragte Zoraschads Tochter ihn.
    »Ach Herrin, eine Schlange biß mich dort hinten im Wald. Mein Stiefel hat das meiste von ihren Zähnen abgefangen, aber ich glaube, daß etwas von dem Gift im Fuß ist. Ich fühle mich sehr schwach und in meinem Kopf dreht es sich. Aber ich hörte eine Geschichte von einer Priesterin hier, die des Heilens kundig ist.«
    Er schien sich nichts aus der Stoffmaske zu machen, noch die Höhle zu fürchten, denn er hoppelte näher heran.
    »Ich werde dir helfen«, sagte sie.
    »Sei gesegnet, Herrin. Kann ich in deine Höhle kommen?«
    Sie war überrascht, daß er keine Angst davor hatte, aber ebenso wenig schien er sie zu fürchten. Aus der Nähe war er größer, als sie gedacht hatte, und von einer machtvollen Erscheinung, mit einer Art männlichem Geruch und Aura um sich. Sie war an den Priester gewöhnt, der unpersönlich und ohne Aggression gewesen war. Dieser Mann war anders. Sie brachte ihn hinein, und er stützte sich schwer auf ihre Schulter und plumpste auf die Matratze am Feuer.
    Sie holte rasch die Salben und sauberes Wasser und beugte sich herunter. »Welcher Fuß?«
    »Dieser hier«, sagte er, und dann ergriff er sie.
    Es geschah zu schnell und raubte ihr die Fassung. Er riß sie nieder, und als sie wild mit ihm kämpfte, schlug er sie, und in ihrem Kopf drehte es sich, wie er es von dem seinen erzählt hatte.
    »Sei lieb, süßes Mädchen«, sagte er, löste seinen Gürtel und band im Nu ihre Hände über ihrem Kopf zusammen, »die Schlange hat mich übrigens nicht in den Fuß gebissen sondern hier«, und zeigte auf sein Geschlecht. »Siehst du die Schwellung? Betrübt

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