Herr der Nacht
Ich kann dich so liebreizend machen, daß jeder, der dich sieht, sich schmerzlich nach dir sehnen wird; Männer werden glücklich sterben, wenn sie eine Stunde mit dir beisammen liegen können. Du wirst keine Armeen oder Sklaven mehr nötig haben, denn Städte werden ihre Tore öffnen, um dieses Gesicht anzubeten, das du jetzt nicht zu zeigen wagst. Könige und Prinzen werden sich selbst in Erdminen abplagen, um dir Schätze zu Füßen zu legen in der brennenden Hoffnung, einmal von deinem Mund berührt zu werden.«
Zorayas starrte den Dämonen mehrere Minuten lang an und flüsterte schließlich: »Wenn du dies tun kannst, will ich dich gehen lassen.«
Da kam Asrharn auf die andere Seite der Kammer, wobei er den Pfeil der Sonne vermied, und er nahm Zorayas’ verkrüppelte Hände, und die Handschuhe zerbarsten, und eine glühende Nadel schoß durch ihr Fleisch und in ihren gesamten Körper, und als sie an sich hinunterblickte, waren ihre Arme gerade und frei von Schmerz und weich und weiß wie Elfenbein und ihre Hände anmutig wie Tauben und ihre Brüste wie Blumen. Darauf legte er seine Handflächen auf ihr Gesicht. Das Feuer, das von ihnen auszugehen schien, war so entsetzlich, daß sie aufschrie. Ihre Haut glich einem Land, das von einem Erdbeben erschüttert wird. Dann erstarb das Feuer, und sie sah den Dämonen sie anlächeln auf eine Art, wie er zuvor nicht gelächelt hatte: ein Lächeln beinahe von erschreckenden und unergründbaren Zärtlichkeit. Sie legte ihre eigenen Hände auf ihre Wangen und fühlte den Unterschied.
»Geh und suche einen Spiegel«, sagte Asrharn.
Und sie gehorchte ihm, denn was der Prinz der Dämonen versprach, daran hielt er sich, und der Handel war gültig.
Hinter dem Pavillon im Garten war ein kleiner Teich, zu dem Zorayas ging. Indem sie die Binsen mit ihrer weißen Hand beiseite schob, besah sie ihr Gesicht, wie sie es nur einmal vorher, im Wald, angeschaut hatte. Was sie erblickte, war eine Schönheit, die die Pracht des Leoparden übertraf, strahlender als das Gefieder des Frühlings, als der Mond, die Sonne, eine Schönheit, die nur ein Dämon erschaffen konnte, eine Schönheit, um die Erde zu unterwerfen. Und sie erhob sich, warf ihre eiserne Bekleidung beiseite, nur noch in dieses Wunder gekleidet, und ging zurück in den Pavillon und schloß die Tür vor dem Tageslicht.
Der Fußboden war weit aufgebrochen, und Asrharn stand da mit seinem sicheren Ausweg vor sich, doch er – sogar er! – war geblieben, um einen letzten Blick auf sie zu werfen.
Und Zorayas starrte ihn an und fiel vor ihm auf die Knie und sagte: »Nun töte mich, Gebieter, und ich will sterbend dich anbeten, und nach dem Tod werde ich, wenn sie in den Nebeln, welche die Erde umhüllen, es hören wollen, ihnen erzählen, daß du der König aller Könige bist, mein Geliebter und mein Meister, dessen Fluch mir süßer klingt als der Gesang der Nachtigall.«
Darauf hob Asrharn sie auf seine Arme und legte seinen Mund auf den ihren und lächelte darüber, daß sein eigenes Geschöpf ihn verführte.
»Du hast dich selbst gesehen, Tochter der Schönheit. Kannst du dir vorstellen, daß ich etwas zerstören würde, das ich selbst geschaffen habe, und das so schön ist?«
Auf diese Weise erfuhr das Fleisch Zorayas’, das nur den Schmerz alter Wunden gekannt hatte – einen Peitschenhieb, eine Vergewaltigung, das Kratzen des Eisens –, nun die Lieblichkeit seiner selbst und die Umarmung Asrharns darauf und darinnen, das Siegel dunkler Nacht auf ihrem Morgen.
TEIL ZWEI
4
Diamanten
Zwei Brüder saßen beim Schach in einem hohen Palastturm, während hinter dem Jaspis-Gitter des Fensters eine scharlachrote Sonne unterging.
Die Sonne tauchte alles in einen rötlichen Glanz: die Felsklippen und Dünen des Wüstenlandes, den schimmernden Fluß mit seinen baumgesäumten Ufern, die Wände und hohen Türme des Palastes. Selbst die Gesichter der beiden jungen Männer waren mit ihrer Farbe übergossen, die ihnen eine oberflächliche Ähnlichkeit verlieh. Denn obgleich sie Brüder waren, waren sie doch ungleich: Jurim, der jüngere, war schön, mit blondem Haar, der ältere, Mirrasch, war von strenger und rauchiger Dunkelheit. Ebensowenig glichen sie sich in ihrem Gemüt. Jurim war ein Poet und ein Träumer, Mirrasch ein Stratege, der der Welt nicht traute. Ihr Vater, ein Aristokrat aus alter Familie, war gestorben und hatte seine Länder beiden Söhnen gemeinsam vermacht, damit jeder der beiden mit seinen, dem
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