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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Spiel, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und kamen dabei um, andere brachten sich selbst um, weil sie ihre Gunst nicht erringen konnten, und wieder andere wurden von ihr aus Gründen umgebracht, die ihrem Vorteil, ihrer Rache oder ihrem bloßen Vergnügen dienten. Asrharn hatte sie schön gemacht, und Schönheit stieg ihr zu Kopf wie ein starkes Getränk. Asrharn hatte ihr sein Siegel aufgedrückt und einiges von seiner bestrickenden Bosheit, vom Vergnügen an seinem Lieblingssport: die Pläne der Menschen zu durchkreuzen, hatte ihre Knochen durchdrungen.
    Ein weiterer Tod bedeutete ihr nichts. Sie hätte nicht mehr an Jurim oder seinen verschlossenen Bruder gedacht, wenn sie nicht eine merkwürdige Geschichte gehört hätte, die sie verärgerte und interessierte.
    Sie hatte eine gewisse Kenntnis in der Vogelsprache erworben: eine sparsame, groteske Sprechweise, für Menschenohren mehr so etwas wie die Unterhaltung freundlicher Verrückter als eine Sprache. Zorayas pflegte neben einem Kristallbecken zu sitzen und ihr Konterfei in Silberspiegeln zu bewundern, während Dienerinnen ihre Haare kämmten. Und dabei pflegte sie dem Geschwätz der Spatzen, Schwalben und wilden Ibisse zuzuhören, die am Wasserrand zwischen den Binsen aus dünnem getriebenen Gold tranken. Vor kurzem hatte sie auf diese Weise von einem Fehler erfahren, den sie begangen hatte.
    »Wer ist dieser Vogel im Wasser?« fragte ein Spatz, für den der klare Teich etwas Neues war, und der wild auf seine Spiegelung lospickte.
    »Platsch!« rief ein anderer und bespritzte sich selbst mit Wasser.
    Ein dritter putzte sich betrübt am Marmorrand und sagte:
    »Dort sitzt die Königin von Zojad, die nicht weiß, daß sie betrogen wurde.«
    »Betrogen? Um was? Um einen Wurm?« rief der erste Spatz.
    »Um einen Diamanten.«
    »Was ist das?« fragte ein Ibis.
    »Diamanten sind die Dinge, die vom Himmel fallen und alles naß machen«, sagte eine Schwalbe. »Aber die Menschen fangen sie in Krügen auf.«
    »Morgen werde ich ein Ei legen«, sagte der Ibis zusammenhanglos.
    »Mirrasch hat Zorayas von Zojad betrogen«, sagte der dritte Sperling. »Er hielt den einen Diamanten vor ihr zurück, der so viel wert ist wie der ganze Rest, den sie hat, den blauen Diamanten von seines Vaters Grabtür.«
    »In der Nähe von Gräbern kann man häufig Würmer finden«, sagte der erste Spatz, »aber ich nehme an, niemand wird mir für diese großzügige Belehrung danken.«
    »Mein Ei wird größer sein als jedes Ei, das jemals gelegt wurde«, sagte der Ibis.
    »Der Diamant, um den Mirrasch Zorayas betrogen hat, ist soviel wert wie alle übrigen Diamanten der Welt«, sagte der dritte Sperling, plusterte sich auf und flog davon.
    »Solch eine Grobheit«, sagte die Schwalbe, »aber ich habe vergessen, warum.«
    Es schien Zorayas, daß der Sperling, der von den Diamanten gesprochen hatte, ungewöhnlich geglänzt hatte. Sie fragte sich, ob Mirrasch selbst ihr den Vogel geschickt hatte, um damit zu prahlen, daß er ihr den letzten und besten Edelstein verweigert hatte.
    »Aber das mag sich zu meinen Gunsten ändern«, sagte Zorayas. »Wir werden ja sehen!«
    Zugegeben, Mirrasch hatte sie nicht angesehen, hatte nicht zugelassen, daß der unwiderstehliche Zauber ihrer Schönheit ihn in Bann schlug. Und zugegeben, er würde nun besonders auf der Hut vor ihr sein. Sie erinnerte sich an seine Geschicklichkeit mit dem Salzkuchen. Aber sie würde nicht ruhen, bis sie hatte, was sie wollte: den letzten Diamanten und seine Unterwerfung. Sie mochte es nicht, wenn Menschen sich ihr widersetzten, ihr, die einst von Menschen so grausam zu leiden gehabt hatte. Sie hatte sich zur Aufgabe gemacht, sie in ihrer Welt wie eine Krankheit zu bekämpfen, sie zu bändigen, wegzuätzen und unschädlich zu machen.
    Zorayas wurde gewahr, daß sie zu dem Wüstenpalast an dem glitzernden Fluß zurückkehren müsse, jedoch nicht in ihrer vorigen Erscheinung. Nicht als milchig-verschleierte Dame unter einem befransten Baldachin, begleitet von Glocken und Musik und dem Duft von Weihrauch. Und ebensowenig würde sie wiederkommen wie sie gegangen war: als eine Zauberin in einem übernatürlichen Gefährt, das von unbeschreiblichen Bestien gezogen wurde. Diesmal sollte Mirrasch ungewarnt bleiben.
    *
    Ein Sturm brüllte über die Wüste. Staub stieg auf bis zum Himmel. Die Sonne wurde zu einem roten Fleck verwischt, der glitzernde Flug wurde stumpf wie unpolierte Bronze, und die Bäume stöhnten im Wind.
    Jemand klopfte

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