Herr der Nacht
Kenntnis in der Heilkunst. Vielleicht vermag ich dir zu helfen.«
»Nein, nein, auf keinen Fall«, sagte Mirrasch und rückte von ihr ab. »Mach nur keine Umstände.«
Darauf wandte sich das Mädchen anderen Körperzonen des Prinzen zu, aber der sagte traurig: »Freundliches Mädchen, auch dies ist zwecklos. Die Dämonen haben mich nicht nur meines Augenlichts beraubt, sondern auch meiner Potenz.« Aber das Mädchen, da es das genaue Gegenteil vorfand, versicherte ihm, er müsse sich irren. »Ach nimm keine Notiz von solchen Äußerlichkeiten. Dies ist nur eine Form, in der die Dämonen mich quälen. Das Gefäß ist zum Überlaufen gefüllt, aber kaum wollen wir zu trinken beginnen, so ist der Wein auf geheimnisvolle Weise verschwunden und das Gefäß schlapp und leer.«
»Je nun, mein Gebieter«, schalt das Mädchen, »laß uns nicht zu pessimistisch sein. Vielleicht waren die Dämonen in ihrem Zauber doch ein bißchen nachlässig.«
Zweifellos war es so, denn nach ein wenig mehr Drängen fand das Schwert die Scheide, und Mirrasch erfreute sich ihrer mit Wonne.
Zorayas – wer sonst? Selbst der so nützliche Sturm war das Werk ihrer Zauberkunst gewesen – hatte nicht die Absicht, an der Leidenschaft ihres Feindes teilzuhaben, sondern wartete den richtigen Augenblick ab, während sie zum Schein die Schreie und Bewegungen an den Tag legte, die angesichts der Situation angebracht schienen. Zuletzt, als die Augenblicke der höchsten Anspannung Mirrasch überwältigten, riß Zorayas die Binde von seinen Augen.
Auf diese Weise mußte er auf dem Höhepunkt seiner Lust, trotz seiner Ausflüchte, sie und den alles fesselnden Zauber ihres Gesichtes anschauen, das nun von kupferrotem Haar umrahmt war, nachdem sie die schwarze Perücke beiseitegeschleudert hatte.
Mirrasch stöhnte und sank nieder und verfluchte sich selbst und sie und starrte sie dann wieder an und bat sie flehentlich, sie möge seine Flüche verzeihen und erklärte, er würde mit Freuden für sie sterben.
»Das ist nicht nötig«, sagte Zorayas, »aber ein kleines Geschenk …«
»Alles, was ich habe, gehört dir, so wie ich bin.«
»Den Gegenstand, den du mir nicht geben wolltest, den blauen Diamanten, mit dem du geprahlt hast, der den ganzen Rest wert ist.«
Mirrasch starrte sie an. Seine dunklen Augen waren blutunterlaufen und schwammen wie wild in ihren Höhlen. Es bereitete ihr Genugtuung, ihn so vollkommen erniedrigt zu sehen.
»Der Diamant aus dem Tor zu meines Vaters Grab? Nimm ihn! Nur laß mich noch einmal deinen Mund küssen.«
»Später vielleicht«, sagte Zorayas. »Im Augenblick genügt der Diamant.«
Sie erhoben sich. Er führte sie hinunter und durch schattige Gärten, in denen sich der Sturm gelegt hatte, an einem schimmernden Teich entlang zu der marmornen Säulenhalle des Mausoleums. Hier, am Eisentor, flackerte etwas in einem kühlen, blauen Licht. Ein großer Diamant, und daneben etwas anderes.
»Was ist das nun wieder?« fragte Zorayas, in der Dunkelheit weiß wie Elfenbein und rot wie Wein. »Eine neue List? Komm, ich weiß, daß du mich jetzt nicht anlügen kannst.«
»Dich anlügen! Eher würde ich mir die Zunge abschneiden.« Er fiel vor ihr auf die Knie und umklammerte ihre Fußknöchel.
»Als du mir den Diamanten in meinem Palast gezeigt hast, war er ohne Einfassung.«
»Ja«, sagte er, »ich brach ihn aus seiner Fassung, diesem ovalen Spiegel in Menschengröße, der hier am Grabtor hängt.«
Zorayas ging an ihm vorbei, um den Gegenstand am Tor in Augenschein zu nehmen und stellte fest, daß es sich um ein poliertes Oval aus blauem Metall in der angegebenen Größe handelte, in dessen Mittelpunkt der Diamant glühte.
»Ein Spiegel, sagst du? Ich kann kein Spiegelbild sehen.«
»Das ist nur das Gehäuse, und der Edelstein ist in diese Hülle eingesetzt. Der Spiegel ist innen, aber niemand darf hineinsehen. Es war der Spiegel meines Vaters, ein Zauberding, das er in einem alten Tempel fand. Selbst er öffnete niemals die Umhüllung, um hineinzusehen.«
»Warum nicht, bitte?«
»Es war ein Spielzeug der Dämonen«, sagte Mirrasch, während er ihr nachkroch und seine Lippen auf ihre Ferse preßte. »Es wird behauptet, daß der Spiegel eine endgültige Wahrheit offenbare. Kein Mensch wagt es, einen solchen Anblick zu riskieren. Aber, Herrin, laß mich den Stein für dich herausbrechen, und dann …«
»Laß gut sein«, sagte Zorayas finster. »Sind denn die Menschen immer noch so feige? Dämonen sind weise,
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