Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
Vom Netzwerk:
Geschöpfen, die vom Beginn der Zeit übriggeblieben waren. Die Farbe des Drachens war scharlachrot, die Farbe von Blut, doch sein Maul und seine Zunge waren schwarz; selbst seine Zähne waren schwarz, doch hart wie gehärtetes Holz. Er hatte zwei kurze Hörner, und der Knochen an der Spitze seines Schwanzes war nackt, wie auch die Knochenkämme entlang seiner Wirbelsäule. Es waren gelbe, häßliche, nackte Knochen, scharf genug, um einen Mann aufzuschlitzen, was vor kurzem auch tatsächlich geschehen war. Er besaß die Länge von vier Hengsten, von der Schnauze bis zu den Hinterbacken, den Schwanz nicht mit eingerechnet.
    Er kam an den fruchtbaren Hängen zwischen den Hainen zum Vorschein, und sein giftiger Atem zerstörte die Bäume und die Tiere, die ihm in den Weg kamen. Wo er vorbeizog, hinterließ er eine breite Spur von verkohltem, durcheinandergeworfenem und unkenntlichem Unrat. Er fraß Menschen. Er brauchte jeden Tag seines Lebens einen Menschen; es mußte ein großer, starker, saftiger junger Mann sein. Er brauchte Helden, oder zumindest solche, die gezwungen wurden, den Helden zu spielen.
    Der König glaubte nicht wirklich daran, daß je einer käme, der den Drachen besiegen könnte. Die Zwangsrekrutierten, die er zum Berg schickte, waren nichts weiter als Futter, eine Bestechung, um den Drachen von seiner Stadt fernzuhalten. Wenn der Tag kam, da alle verfügbaren Bauernjünglinge verschlungen waren, würden die Soldaten Lose ziehen müssen, und wen das Los traf, der mußte gehen, um den Drachen zu versorgen. Daher bemühten sich die Soldaten fleißig, Helden unter den weitverstreuten Hütten und Schafpferchen des Landes zu finden.
    Manche wurden schreiend oder bewußtlos zur Stadt gebracht, in schlechtsitzender Rüstung auf den Berg transportiert und starben dort mit einem Piepser oder Fluch auf den Lippen, die das einzige waren, was ihren Abgang unterschied. Andere kamen mit Gebrüll, aufgeblasen und prahlend, da sie glaubten, die verlogene Prophezeiung meinte sie selbst, bis die Zähne des Drachens sich in ihre Leiber gruben. Doch diesmal trat eine andere Art von Held durch das Stadttor. Er sprach nicht, er lachte, sprang einen Hund an, um mit ihm zu ringen, schlug in der Luft nach einem Vogel. Er starrte nicht auf den Glanz der Metropole, kniff die Augen nicht zusammen, als man ihm Belohnungen versprach. Ungeduldig wandte er sich von der Rüstung ab, die sie ihm anlegen wollten. Er zeigte auf den Berg, grinste und hob fragend die Brauen. Sie führten ihn, und er rannte den ganzen Weg, galoppierte über Steine und Klüfte und keuchte vor Ungeduld, dem Drachen zu begegnen. Die Soldaten starrten ungläubig, einige weinten. Der Drache hustete am Abhang, und die Soldaten versteckten sich.
    Es war in der heißen Zeit des Tages, und der Drache döste in einem Wald von toten Bäumen, die sein Atem verdorrt hatte. Es hatte sich ergeben, daß er schon einen Mann als Mahlzeit gefunden hatte, einen Mörder, den eine rachedurstige Menge den Berg hinaufgetrieben hatte. Daher war der Drache weder hungrig noch munter und hielt auch nicht Ausschau nach einer Mahlzeit; aber er war immer noch gefährlich genug.
    Plötzlich hörte der Drache einen merkwürdigen Lärm. Weder Schreckensschreie noch bellende Herausforderungen, sondern ein klares, fröhliches Jodeln, das überhaupt nicht zu den Abhängen paßte, wie sie jetzt aussahen.
    Der Drache gähnte, rülpste laut und schaute umher.
    In einer Lücke zwischen den zerstörten Bäumen erschien ein wilder Jüngling. Er kroch nicht, noch schwankte er, er war weder bewaffnet noch in eine Rüstung gekleidet. Der Drache war an drei verschiedene Reaktionen gewöhnt, wenn ein Mensch ihn erblickte. Die erste bestand darin, wegzulaufen, die zweite, bewußtlos umzufallen, die dritte, sich vorsichtig mit erhobenem Schwert zu nähern und Drohungen auszustoßen.
    Aber der Jüngling mit dem aschblonden Haar und den flammenden Augen tat nichts dergleichen. Gerade als der Drache anfing, sich faul zu regen, um auf die Füße zu kommen, kam der Jüngling angerannt, vollführte einen riesenhaften Sprung durch die Luft und landete genau auf der Stirn des Drachens, auf der engen Stelle zwischen den beiden stumpfen Hörnern und der beginnenden Wirbelsäule. Dies war keine Strategie von seiten des Springers, sondern reiner Instinkt, da der kahle Fleck die einzig mögliche Stelle war, auf der er landen konnte.
    Der Aufprall erschütterte das Gehirn des Drachens. Er schüttelte benommen den

Weitere Kostenlose Bücher