Herr der Nacht
er heulte, worauf ihm Dresaem an die Kehle sprang und ihn erdrosselte. Wenn es eine Schlacht zu schlagen gab, rannte Dresaem ohne Pferd oder Rüstung noch vor den Hauptleuten und warf sich mit Freudenschreien auf die Feinde, die ihnen das Blut gerinnen ließen und säte Verderben mit bloßen Händen. Manchmal wurde er verwundet. Er selbst bemerkte es nie, bis er vor lauter Blutverlust umfiel. Er war jedoch so voller Lebenskraft, daß keine dieser Verwundungen ihn mehr als ein paar Stunden außer Gefecht setzte. Was seine Frauen betraf – es waren inzwischen hundert – so öffnete und schloß sich die Ebenholztür den ganzen Tag und die ganze Nacht lang, wenn er zu Hause war, und wenn sie ins Feld zogen, wurden hübsche Mädchen ihren Eltern entrissen, um den Kämpen des Königs auch da zu befriedigen.
Die Soldaten verehrten ihn.
»Was tut’s zur Sache, wenn er niemals redet, was soll’s, wenn er manchmal plötzlich in Wut gerät oder einen Anfall hat und Weinbecher umstößt oder Tische durch die Luft schleudert? Seht euch seine feinen Muskeln und seine klaren Augen an, und seht auf die Ebenholztür, wie sie auf- und zugeht! Er bespringt sie wie ein Bulle, eine nach der anderen. Meiner Treu, er ist wirklich ein Held, da gibt’s gar nichts!«
Er war siebzehn. Er sah aus wie ein Gott und benahm sich wie ein unberechenbares Tier. Doch selbst in seinen Wutanfällen schien er voller Freude, überschäumend von Leben.
Eines Tages kam ein wandernder Sänger ins Lager. Die Armee des Königs hatte eine Schlacht geschlagen und gewonnen. Der Kämpe des Königs war mit drei kreischenden Dirnen in seinem goldbestickten Zelt, das unter dem stürmischen Liebesspiel erbebte.
Der Sänger sang für Kupfermünzen. Er hatte ein Mädchen in einer fremden Stadt gesehen, ein fremdartiges, stummes Mädchen mit Silberaugen und geisterhaftem Schlüsselblumenhaar; er sang von ihr, denn sie hatte ihm gefallen. Er war ein Träumer und war irgendwie auf die Wahrheit gestoßen, ohne sich dessen bewußt zu sein, denn in seinem Lied nannte er sie – als bloße Dichtung, ein Einfall – die Halbbeseelte.
Die Soldaten, die nach der Schlacht sehr gefühlvoll waren, mochten das Lied. Stell dir ihr Erstaunen vor, als die Klappe des Heldenzeltes weit aufgeschlagen wurde und der unmusikalische Kämpe mit tränenüberströmtem, traurigem Gesicht herauskam.
Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel er vor dem Sänger auf die Knie.
Sie fürchteten sich alle, wie bei einem Wunder. Der Kämpe weinte, schien aber nicht zu wissen, weshalb. Niemand wagte ihn zu fragen, es erwartete aber sowieso keiner eine vernünftige Antwort, da er niemals sprach. Kurz darauf hob der Kämpe den Kopf, packte die kleine Harfe des Sängers und riß die Saiten heraus. Und dann rannte er mit einem schrecklichen, wortlosen Geheul aus dem Lager in die wüsten Einöden, die jenseits davon lagen.
*
Schesael war Jungfrau geblieben, unvermählt. Trotz ihrer Schönheit schreckte ihr verwirrter Geist jeden Freier ab. Irgendwie fürchteten sie sich vor ihr. War sie nicht einer verfluchten Ehe entsprossen? Wenige kannten die Tatsachen aus Bisunehs Hochzeitsnacht, aber es wimmelte von Gerüchten: der Bräutigam war auf geheimnisvolle Weise gestorben, aber woran und aus welchem Grund, da man doch wußte, daß er jung und gesund gewesen war? Nein, der Makel, was immer es auch war, mußte auf die Tochter übergegangen sein. Am besten ließ man sie allein.
Bisweilen saß sie am Fenster in ihres Großvaters Haus. Der alte Mann war langsam und müde. Obwohl er über die Kosten entsetzt war, bezahlte er eine Dienerin, damit sie Schesael begleitete, ihr Kleidung kaufte und in Ordnung hielt und auf Spaziergänge durch die Stadt mitnahm, allerdings nur auf wenig begangenen Nebenwegen. Diese Dienerin war von guter Natur, aber gleichzeitig war sie eine aufmerksame Wächterin über die Sicherheit ihres Schützlings. Manchmal führte sie das Mädchen zum Tempel und betete dort für die Errettung des Mädchens von ihrem wunderlichen Mißgeschick, während Schesael ausdruckslos in die blaue Luft starrte.
Drei Monate nach Schesaels siebzehntem Geburtstag nahm die Dienerin sie mit zu einem dieser unbefriedigenden Tempelbesuche, und an dem heiligen Ort sahen sie den wandernden Sänger wieder, den sie ein halbes Jahr vorher dort getroffen hatten. Er war dort, um den Göttern für seine sichere Rückkehr in die Stadt zu danken, aber als er die Dienerin mit ihrem Schützling sah, eilte er
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