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Herr der Welt

Herr der Welt

Titel: Herr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Himmel
    mußte jedermann fürchten, überfahren zu werden. Verließ
    ein Bürger sein Haus, lief er auch Gefahr, von dem plötz-
    lichen Auftauchen jenes Chauffeurs, dem niemand schnell
    genug ausweichen konnte, überrascht zu werden. Wage sich
    doch einer auf eine Straße in der Stadt oder auf dem Land,
    über die jeden Augenblick Geschosse hinsausen können! . . .
    Das hoben auch Tausende von Tages- und Wochenblättern
    hervor, besonders die, die am eifrigsten gelesen wurden.
    Es verwunderte mich auch gar nicht, daß solche Erörte-
    rungen den Leuten den Kopf erhitzten, besonders solchen
    von dem Schlag meiner alten Dienerin, die steif und fest an
    allerlei übernatürliche Dinge glaubte.
    Heute, als Grad – so heißt meine Haushälterin – nach
    dem Mittagessen den Tisch abräumte und eine Flasche in
    der einen, Schüssel und Teller in der anderen Hand hielt,
    ging sie nicht gleich hinaus, sondern sah mir unverwandt
    ins Gesicht.
    »Nun, Mr. Strock«, sagte sie, »noch immer nichts
    Neues?«

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    »Nicht das geringste«, antwortete ich, wohl erratend,
    worauf ihre Frage zielte.
    »Der Wagen hat sich noch nicht wieder sehen lassen?«
    »Nein, Grad.«
    »Das Schiff auch nicht?«
    »Auch das Schiff nicht. Selbst die bestinformierten Ta-
    gesblätter wissen nichts davon.«
    »Aber auf dienstlichem Weg könnten Sie doch . . .«
    »Amtlich ist man ebenfalls ohne jede Nachricht.«
    »Dann, bitte, sagen Sie mir doch, Mr. Strock, wozu die
    Polizei eigentlich nützt?«
    »Das ist eine Frage, die ich Gelegenheit genug hatte, mir
    selbst zu stellen.«
    »Und das ist ja recht beruhigend, Mr. Strock! Da wird ei-
    nes schönen Morgens der verwünschte Chauffeur ohne vor-
    herige Anmeldung auftauchen und man wird ihn in Was-
    hington auf die Gefahr hin, die Passanten zu überfahren,
    die Long Street entlangsausen sehen . . .«
    »Oho, Grad, dann eröffnete sich die Aussicht, ihn abzu-
    fangen!«
    »Das wird nimmermehr gelingen, Mr. . . .«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil dieser Chauffeur der Teufel in eigener Person ist,
    und der läßt sich von keinem fangen.«
    Natürlich, dachte ich, dem Teufel läßt sich ja vieles auf-
    bürden, und ich glaube, der ist überhaupt nur erfunden
    worden, damit eine Menge guter Leute sich einbilden kön-
    nen, zu erklären, was unerklärlich ist. Er hat – nach de-
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    ren Ansicht – die Flammen im Great Eyrie angezündet, er
    hat den Rekord der Geschwindigkeit auf der Wisconsiner
    Landstraße gebrochen, er segelt jetzt in den Gewässern von
    Connecticut und Massachusetts wie verrückt umher!
    Doch Scherz beiseite . . . sehen wir ab von einer Einmi-
    schung des bösen Geistes, die, das seh’ ich wohl ein, der
    Fassungskraft weniger kultivierter Gehirne entspricht. Zu
    bezweifeln war aber jedenfalls nicht, daß ein menschliches
    Wesen hier über zwei Beförderungsmittel verfügte, die sich
    auch den vollkommensten, die man bisher kannte, weit
    überlegen erwiesen.
    Daran schloß sich noch folgende Frage:
    Warum hörte man von dem Unbekannten gar nichts
    mehr? Fürchtete er vielleicht, daß man sich seiner bemäch-
    tigen und das Geheimnis seiner Erfindung, das er offenbar
    zu bewahren suchte, entdecken könnte? Wenigstens wenn
    er nicht, mit oder gegen seinen Willen – auf diese Lösung
    der Frage kam man immer wieder zurück – das Opfer ei-
    nes Unfalls geworden wäre und sein Geheimnis mit in die
    andere Welt genommen hätte. Wäre er aber in den Gewäs-
    sern von Michigan oder von Neuengland umgekommen,
    wie hätte man dann jemals seine Spur finden können? . . .
    Dann wäre er eben nur vorübergeflogen wie ein Meteor, wie
    ein Asteroid, das durch den Weltraum hinzieht, und in tau-
    send Jahren würde sein Abenteuer – dem Geschmack aller
    Grads des 30. Jahrhunderts angepaßt – einfach zur Legende
    geworden sein.
    Eine Zeitlang beschäftigten sich die Tagesblätter Ameri-
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    kas, bald darauf auch die Europas, mit diesem dunklen Vor-
    fall, und es erschienen Artikel haufenweise darüber. Falsche
    Nachrichten folgten einander auf dem Fuß, die Sache wuchs
    sich zum richtigen Geschwätz aus. Das Publikum der bei-
    den Welten nahm daran ein übrigens begreifliches, wun-
    derbares Interesse. Ja, wer weiß, ob die verschiedenen Staa-
    ten nicht so etwas wie Neid empfanden, daß von diesem
    Erfinder Amerika zum Versuchsfeld erwählt worden war,
    von dem Mann, der, wenn er Amerikaner war, vielleicht
    sein Heimatland mit seiner genialen Erfindung

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