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Herr der Welt

Herr der Welt

Titel: Herr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ihn mit
    ebensoviel Geschicklichkeit wie Kühnheit lenkte.
    In dem Augenblick, wo die ›Terror‹ über dem kanadi-
    schen Fall schwebte, stand ich neben der Pfortluke mei-

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    ner Kabine. Der klare Abend erlaubte mir die Richtung zu
    beobachten, die der Luftsegler* einschlug. Er zog weiter
    längs des Stroms hin und flog 3 Meilen stromabwärts über
    die Hängebrücke hin. An dieser Stelle beginnen die nicht
    schiffbaren Stromschnellen des Niagara, der hier eine Bie-
    gung macht, um nach dem Ontariosee hinunterzubrausen.
    Von hier aus schien mir der Apparat nach Osten abzu-
    weichen.
    Der Kapitän blieb nach wie vor auf dem Hinterdeck. An-
    gesprochen hatte ich ihn nicht. Wozu auch? Er hätte mir
    doch nicht geantwortet.
    Ich bemerkte sehr deutlich, daß die ›Terror‹ sich auffal-
    lend leicht steuern ließ. Offenbar war sie auf den atmosphä-
    rischen Straßen ebenso »zuhause«, wie auf den Wasser- und
    den Landstraßen.
    Versteht man angesichts einer solchen Leistungsfähig-
    keit nicht den ungemessenen Stolz dessen, der sich zum
    »Herrn« und gewissermaßen zum Beherrscher der Welt er-
    nannt hatte? . . . Verfügte er doch über eine Maschine, die
    allen aus Menschenhand hervorgegangenen weit überlegen
    war und gegen die die Menschen nichts auszurichten ver-
    mochten. Wahrlich, warum hätte er sie verkaufen und die
    Millionen annehmen sollen, die ihm dafür geboten worden
    waren? . . . Ja, das erklärte mir sein unbedingtes Vertrauen
    auf sich selbst, das in seinem ganzen Verhalten zutage trat.
    * Das Wort »Luftsegler« bezieht sich hier ebenso auf den fliegen-
    den Apparat, wie auf den, der diesen führte.
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    Und wie weit mochte vielleicht sein Ehrgeiz ihn verführen,
    wenn dieser, alle Grenzen überschreitend, etwa in Wahn-
    sinn ausartete?
    Eine halbe Stunde später war ich, ohne zu wissen wie, in
    vollständige Bewußtlosigkeit verfallen. Ich wiederhole hier,
    daß dieser Zustand wohl die Folge eines kräftigen Schlaf-
    mittels gewesen sein dürfte. Ohne Zweifel wollte der Kapi-
    tän mich nicht erkennen lassen, welcher Richtung er folgte.
    Ich vermöchte also nicht zu sagen, ob der Luftsegler sei-
    nen Flug als solcher fortgesetzt hatte, ob er über ein Meer
    oder einen See hinweggefahren war oder die Landstraßen
    des amerikanischen Gebiets aufgesucht hatte, denn ich habe
    nicht die leiseste Erinnerung an das bewahrt, was sich in der
    Nacht vom 31. Juli zum 1. August ereignet haben mochte.
    Wie würde sich dieses Abenteuer nun weiter gestalten,
    und vor allem – was mich betraf –, wie würde es schließlich
    ausgehen?
    Ich habe schon gesagt, daß die ›Terror‹ in dem Augen-
    blick, wo ich aus dem seltsamen Schlaf erwachte, vollstän-
    dig stillzuliegen schien. In dieser Beziehung war wohl jeder
    Irrtum ausgeschlossen: welcher Art auch ihre Bewegung
    sein mochte, selbst wenn sie durch die Luft hinschwebte,
    ich hätte diese doch unbedingt bemerken müssen.
    Beim Munterwerden befand ich mich in meiner Kabine,
    worin ich, ohne etwas davon zu wissen, ebenso eingeschlos-
    sen worden war wie in der ersten Nacht, die ich an Bord der
    ›Terror‹ auf dem Eriesee zugebracht hatte.
    Für mich war die Hauptfrage die, ob es mir gestattet sein
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    würde, jetzt, nach der Landung des Apparats, auf das Ver-
    deck hinaufzugehen.
    Ich versuchte den Lukendeckel aufzuheben; er wider-
    stand meinem Stoßen.
    »Oho«, sagte ich für mich, »soll mir die Freiheit nicht
    eher gegeben werden, als bis die ›Terror‹ ihre Wasserfahrt
    oder ihren Flug wieder aufgenommen hat?«
    Das waren ja die einzigen Verhältnisse, unter denen je-
    der Fluchtversuch ausgeschlossen erschien.
    Gewiß begreift da jedermann meine Ungeduld, meine
    Unruhe, nicht zu wissen, wie lange dieser Aufenthalt auf
    festem Boden wohl dauern würde.
    Ich sollte jedoch nicht länger als eine halbe Viertelstunde
    warten. Das Geräusch vom Wegziehen von Querstangen
    schlug mir ans Ohr. Der Lukendeckel wurde von draußen
    abgehoben. Licht und Luft strömten frei in meine Kabine.
    Mit einem Sprung befand ich mich auf dem Verdeck an
    meinem gewöhnlichen Platz.
    In einem Augenblick überflogen meine Blicke den gan-
    zen Horizont.
    Wie vermutet, lag die ›Terror‹ auf der Erde, im Grunde
    eines Kessels, der im Umfang 1500 bis 1800 Fuß messen
    mochte. Eine Lage gelblichen Kieses bedeckte überall den
    Grund, auf dem nicht ein einziges Grasbüschel grünte.
    Der Talkessel hatte die Form eines ziemlich

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