Herr der zwei Welten
Sonnenlicht. Es war schwer etwas Eindeutiges zu erkennen. Deshalb brauchte sie auch einige Augenblicke, um zu erkennen, dass es sich hierbei nicht um einen Vogel, sondern um ein, zugegeben etwas merkwürdig aussehendes, Flugobjekt handelte, das auch wenige Augenblicke später, nicht weit von ihr, landete. Julie staunte. Dieses Flugobjekt hatte bei seiner Landung weder ein Geräusch noch einen Luftzug verursacht. Jetzt sah sie, wie ein Mann diesem seltsamen Objekt entstieg. Der Heiler! Niemand anderes konnte es sein. Julie besah sich diesen Flugapparat jetzt genauer. Er bestand nur aus zusammengefügten Zweigen, ihr allerdings gänzlich unbekannter Pflanzen und einer Substanz, die Julie noch nie gesehen hatte. Nirgends war ein Motor oder Ähnliches zu entdecken. Zumindest besaß es aber zwei große Flügel, die allerdings eher an die Leinen von Booten erinnerten. Die Segel bestanden aber nicht aus Tuch, sondern waren ebenfalls aus großen blauen Blättern hergestellt. Zusammengehalten wurden sie durch silbern glänzende Fäden. Dadurch wurde das dunkle Blau der Blätter stetig durch ein gleichbleibendes Blinken erhellt. Julie trat ein paar Schritte näher heran. Jetzt konnte sie erkennen, dass das Blinken von einer silbernen Flüssigkeit herrührte, die sie kurz vorher noch für Fäden gehalten hatte. Aber nun konnte sie deutlich den Verlauf der Flüssigkeit erkennen. Sie schien direkt aus dem Mark der Blätter zu stammen. Wie diese Flüssigkeit es aber schaffte, die einzelnen Blätter miteinander zu verbinden und damit das ganze Flugzeug zusammenzuhalten, blieb Julie völlig unklar. Julie hatte Schwierigkeiten ihren Blick von diesem seltsamen Ding zu nehmen. Aber dann dachte sie wieder an Karon und schlagartig verebbte ihre Neugier.
Sie drehte sich um und konnte den Mann, der mit Sicherheit der Heiler war, noch erkennen, wie er schnellen Schrittes auf die Höhle zusteuerte. Auch er wirkte, genau wie sein Gefährt, merkwürdig in seiner hellen Kleidung. Julie hatte sich an die leichte und knappe Bekleidung der anderen gewöhnt, die größtenteils aus bunten Blättern und fein gewebten Pflanzenfasern bestand. Aber der Heiler trug einen richtigen Anzug. Die Hosenbeine reichten bis zum Boden und unter der Jacke glänzte ein grünes Hemd. Einzig sein Gesicht und die Hände blieben vom Stoff unbedeckt. Es wirkte geradezu lächerlich, einfach weil die hohen Temperaturen die hier herrschten, derartige Kleidung unzweckmäßig machten. Aber vielleicht war es in der Luft einfach kälter, was dann diese Kleidung erklären würde, dachte sie. Aber nun, wo der erste Schrecken überwunden war, beschäftigten sich ihre Gedanken wieder mit dem kranken Kind. Julie schluckte. Ihr Herz begann zu schmerzen und sie fühlte, wie Tränen ihr in die Augen stiegen. Sie begriff, dass es sich bei dieser Schüttelkrankheit, wie Simonja es genannt hatte, um etwas sehr Gefährliches, vielleicht sogar Lebensbedrohliches handelte. Gerade Karon war Julie dermaßen ans Herz gewachsen, dass es beinahe war, als wäre er ihr eigenes Kind. Julie liebte dieses Kind; vielleicht sogar genauso wie ihre Nichte. Sekundenlang kehrten ihre Gedanken zu Nancy, zu ihrer Schwester und auch zu … Eugeñio zurück. Doch Julie schob diesen Gedanken energisch beiseite. Jetzt wollte sie sich keiner Sehnsucht hingeben. Jetzt zählten nur Karon und die Tatsache, dass er sehr krank war! Sie wagte nicht, darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn der Heiler ihm nicht helfen konnte. Sie begann zu beten. Im selben Moment, als sie ihre eigenen Worte vernahm, die um das Leben von Karon beteten, wurde ihr die Ironie dieser Situation bewusst. Hier, in dieser Welt herrschte Morsena, eine Göttin, die ihr in nichts nahestand und die sie auch nicht verstand. Doch in ihrer alten Welt war Julie nicht gerade gläubig gewesen. Aber darüber konnte sie sich später den Kopf zerbrechen! Jetzt betete Julie, ganz gleich zu welchem Gott! Julie hoffte nur, dass ihre Gebete von irgendwem erhört wurden!
Julie beeilte sich, wieder in die Höhle zu kommen. Sie wusste, in der Höhle lag Karon und kämpfte mit einer schrecklichen Krankheit und auch TsiTsi würde jede Unterstützung brauchen, die sie nur bekommen konnte. Julie hatte nur einen Wunsch, sie wollte für beide da sein! Nur wenige Schritte vom Höhleneingang entfernt erblickte sie plötzlich Dervit und Kai, die nebeneinander den ausgetretenen Pfad entlang kamen. Julie sah Dervit an. Die Sorge um seinen Sohn stand klar in seinem
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