Herr der zwei Welten
Gastons Ohren sie mehr erahnten, als dass ihr Klang sie erreichte. Aber dann wurde die Stimme lauter!
„Ich dachte, dass Du…“ Eugeñios Augen sprühten Flammen.
„Dass ich etwas damit zu tun hätte? Oh nein! Da tust du mir Unrecht! Gut, ich gebe ja zu, anfangs hat mich der Gedanke ja gereizt. Aber dann? Nein, nein!- Allerdings muss ich zugeben, dass es mir eine gewisse Portion an Belustigung bringt, den spanischen Fürsten der Nacht so leidend zu sehen.“
Um Gastons Mundwinkel spielte ein boshaftes Grinsen.
„Und das auch noch einer kleinen Sterblichen wegen! Ha! – Aber im Ernst, ich verstehe dich nicht. Normalerweise sollte sie dein Nachtmahl sein, wenn sie dazu überhaupt reichen würde. Aber was machst du?“
Eugeñio hatte mit dieser Reaktion gerechnet, und so hatte er sich dann auch genügend unter Kontrolle, um sich nicht gleich auf den Franzosen zu stürzen. Stattdessen gab er sich keiner, auch noch so kleinen Bewegung hin. Er wusste, dass er damit den anderen erstaunte. Aber das war ihm egal! Gaston war jünger als er, auch wenn das nie jemand bemerken würde. Sie sahen gleichaltrig aus. Trotzdem war Eugeñio um ganze einhundertzwanzig Jahre älter. Der Spanier grinste. Sollte Gaston doch seinen Spaß haben! Eugeñio hatte ganz anderes vor, als ihn in seine Schranken zu weisen!
Aber nun fuhr der Franzose fort:
„Ich wundere mich nur, dass nicht einmal du es bisher geschafft hast, sie ausfindig zu machen. Oder verheimlichst du mir was?“
Gaston versuchte in die Gedankenwelt des Spaniers einzudringen. Doch so leicht war das nicht. Eugeñio hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten, seine Gedankenwelt vor anderen Vampiren abzuschirmen. Was dachte dieser Grünschnabel sich eigentlich? Doch was würde es schaden, wenn er ihm seine Gedankenwelt offenbarte? Vermutlich könnte es nur nützlich sein, wenn Gaston wusste, um was es ging. Eugeñio öffnete sich.
Sekundenlang herrschte Schweigen.
„Du weißt also wirklich nichts?“ fragte Gaston erstaunt. „Tja dann..! Eigentlich war ich nicht gerade erfreut über deinen Einfall, uns die Bullen auf den Hals zu hetzen. Nur deiner miserablen Spinnereien wegen! Liebe? Mit einer Sterblichen? Pah! Weißt du eigentlich, dass uns diese Sucherei gefährlich hätte werden können? Ist dir eigentlich klar, wie viel du riskiert hast, nur deiner neuen Marotte wegen?!“
Gastons Stimme hatte rau geklungen, mit einem bedrohlichen Unterton. Eugeñio lachte auf.
„Hattest du Angst, du kleiner Wurm? Nur weil du dich in ein oder zwei Nächten mal benehmen musstest, dachtest du, wir wären in Gefahr? Unsinn, sage ich dir!“
„Und du? Hast du vergessen, dass es noch Tage gibt? Die Sonne. Hast du die vergessen? Du liebestoller spanischer Hengst! Du …! Was wäre denn, hätten die Sterblichen am Tage unsere Türen aufgebrochen, um nach dem sterblichen Flitt … M ` was dann?“
Gastons messerscharfe Fingernägel trommelten laut auf den Mahagonitisch, der beinahe in der Mitte der Suite stand.
Abrupt wandte er jetzt sein Gesicht ab. Er musste zur Ruhe kommen. Er durfte den Spanier auf keinen Fall weiter reizen! Ein Kampf mit ihm würde sich vermutlich gegen ihn entscheiden. Mit Unruhe im Hirn stellte er fest, dass ein bedrohliches Schweigen entstanden war. Gaston stand auf und lief durchs Zimmer. Gleich neben der Tür hing ein riesiger, schwarzeingerahmter Spiegel. Gaston blieb davor stehen. Behaupteten die Sterblichen in ihren Schundromanen nicht immer, Vampire hätten kein Spiegelbild? Nun, er hatte ein vortreffliches Spiegelbild! Stolz beobachtete er sein Konterfei im Spiegel. Seine blonden lockigen Haare hatten ihren Glanz nie verloren. Die Farbe seiner Augen war viel intensiver als damals, als er selber noch ein junger Sterblicher gewesen war. Er ließ ein sanftes Lächeln zu. Die Schwingungen seiner Lippen konnte man getrost als sinnlich bezeichnen. Wenn er lächelte, blitzte das Weiß seiner Zähne durch das Rot seiner Lippen. Niemand sah Vampirzähne, wenn er es nicht wollte. Jawohl, er brauchte seinen starken, hypnotischen Willen keiner Sterblichen aufzwingen. Sie verliebten sich auch so in ihn. Folgten ihm freiwillig überall hin! Ha, ha! Die Betrachtung seines eigenen Spiegelbildes hatte schon immer eine beruhigende Wirkung. Ja, er war eitel. Na und?!
Doch nun riss Eugeñios Stimme ihn aus seinen Träumen.
„Es ist nichts geschehen.“ Seine Stimme klang ruhig und beinahe … freundlich.
„Wir haben uns lange nicht gesehen. War deine Angst
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