Herr der zwei Welten
zum Ave Maria, wirbelten in seinem Hirn durcheinander. Seine Fingernägel hatten sich tief in sein Fleisch gegraben. Seine Augen waren schreckensweit. Er starrte hilflos auf diese violette Blüte, in deren Inneren es zuckte und zappelte. Dann.. wie in Zeitlupe.. ganz langsam öffneten sich die Blütenblätter wieder. Bernhard hielt den Atem an. Nicht einmal beten konnte er noch. In ihrer Mitte lag das Kind … bewegungslos! Tot! Bernhard schrie gequält auf. Sein Blick wanderte zum Boden, von wo aus TsiTsi und Dervit ihre Hoffnungen mit ihm geschickt hatten. Was sollte er ihnen sagen? Konnte er diesen Beiden überhaupt noch gegenübertreten? Er fühlte, wie die Schuld allein auf seinen Schultern lag. Verzweifelt schloss er die Augen. Tränen rannen in seine Bartstoppeln. Auf einmal vernahm er ein Geräusch. Ein leises Wimmern. Bernhard riss die Augen auf. Er schrie auf. Das Kind! Karon bewegte sich! Er zitterte wieder. Zwar war das Zittern nicht so stark wie noch Tage zuvor, aber Karons Gesicht war noch immer bewegungslos. Bernhard sah das Kind an. War dieses Zittern nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Urplötzlich jedoch, Minuten nachdem die Blütenblätter das Kind wieder freigegeben hatten, öffnete Karon die Augen. Wie aus weiter Ferne kehrte sein Blick in die Wirklichkeit zurück. Bernhard war fassungslos. Jetzt, endlich! Karon blickte Bernhard direkt an, und auch seine Hautfarbe begann sich zu wandeln. Sie nahm langsam wieder die blaue Farbe an, die doch so natürlich für ihn war. Bernhard beobachtete alles genau. Er hätte schreien mögen, aber er wollte den Kleinen nicht erschrecken. So leuchteten nur seine Augen. Wenige Augenblicke später schien der Junge nicht einmal mehr Fieber zu haben. Es war ein Wunder!
„Hallo! Was ist?“ fragte Karon. Bernhard riss ihn in seine Arme, und erst als der Junge lautstark protestierte, lies er ihn wieder los.
„Was ist denn?“ fragte Karon verstört. Doch nun blickte er sich um. Seine kleinen Brauen wanderten steil nach oben.
„Sag mal, wo sind wir denn hier? Wo ist meine Mutter. Und Thela? – Ich weiß nicht …“
„Karon, Karon, Karon“ schaffte Bernhard zu murmeln. Er hatte seine Stimme noch nicht wieder unter Kontrolle. Aber wenn sie sich nicht grade in schwindelerregender Höhe befinden würden, hätte er Luftsprünge gemacht! So aber sprang nur sein Herz vor Freude. Deshalb brauchte er ein wenig Zeit um sich wieder zu fangen. Statt einer Antwort zog er den Kleinen aus der Blüte und wieder in seine Arme. Diesmal achtete er aber darauf, ihn nicht wieder fast zu erdrücken. Der Junge hatte keine Ahnung, wie krank er gewesen war. Er wusste nicht, wie knapp er dem Tod entgangen war. Unglaublich! Bis auf ein minimales Zittern, das aber von Minute zu Minute schwächer wurde und einem eventuellen Unwohlsein war Karon wieder vollkommen gesund!
Bernhard küsste das kleine Gesicht und lachte ununterbrochen. Es war ihm klar, dass Karon ihn so langsam aber sicher für bekloppt halten musste, aber das war ihm egal. Er war einfach glücklich.
Wenn doch unsere Welt auch solche einfachen Mittel zur Verfügung stünden. Vielleicht gegen Krebs oder gegen Aids. Mann, wäre das nicht klasse! Dachte er. Wie vielen Menschen könnte so geholfen werden. Wie viele müssten nicht mehr an derartigen Krankheiten sterben. Das alles war wie im Märchen. Doch hier, hier war es möglich! Alle Technik, die seine Welt besaß, war nichts gegen diese einfache Pflanze. Bernhard hatte Karon wieder freigegeben und streichelte nun die Blütenblätter zärtlich. Mit einem Blick zum Himmel dankte er für diese Pflanze. Jetzt erst bemerkte er, wie er von Karon beobachtet wurde. Der Junge verstand nichts davon! Zärtlich strich Bernhard ihm über das Haar. Erst jetzt kam ihm in den Sinn, dass er es ja gewesen war, der die Genesung erst ermöglicht hatte. Er war es ja gewesen, der den Jungen hier nach oben gebracht hatte. Stolz und Glück durchströmten ihn. Dervit hatte Karon sein erstes Leben gegeben ... aber er, Bernhard, hatte ihm sein Zweites gegeben! Niemals würde er dieses Kind mehr allein lassen. Karon war gerade zu dem Sohn geworden, den er niemals haben konnte. Eine tiefe Liebe zu diesem kleinen blauen Jungen erfüllte ihn plötzlich! Jetzt noch mehr als schon zuvor!
Der Abstieg war nicht so ruhig und still, wie es der Aufstieg gewesen war. Karon plapperte und zappelte unentwegt. Er hatte kein bisschen Angst in dieser schwindelnden Höhe! Sein Vertrauen in Bernhards
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