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Herr der zwei Welten

Herr der zwei Welten

Titel: Herr der zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Meyer
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gespenstische Ruhe. Niemand bewegte sich mehr. Erst Dervits erneuter Aufschrei lockerte die Muskeln wieder. Er ließ sich fallen und wimmerte und trommelte auf den Sandboden ein. Die Schlange war weg! Aber sie hatte TsiTsi mit sich genommen. Die große Nebelschlange hatte die kleine Frau verschlungen! Fassungslos sahen die Freunde jetzt auf Dervit, dessen Kopf schon beinahe ganz im Sand verschwunden war. Trotzdem schrie er noch immer. Dabei füllte sich sein Mund mit dem feinen Sand, wodurch zu dem Schrei auch noch Husten kam. Der kleine Mann hatte einen Nervenzusammenbruch! Aber wer wollte es Dervit verdenken, dass er jetzt durchdrehte? Schon viel zu viel hatte er in der letzten Zeit durchzustehen gehabt. Sein Sohn war gerettet, doch seine Frau hatte er nun verloren! Dervits Schreie verstummten, als er seinen Kopf ganz und gar im Sandboden vergraben hatte, als Kai bereits bei ihm kniete und ihn hochzog. Julie lief zu Karon, nahm ihn auf die Arme und rannte, so schnell sie konnte zu Dervit. Der Junge war völlig verstört. Er murmelte nur immer wieder:
    „Mummy! Mummy!“ Doch noch wollten keine Tränen fließen. Er konnte noch gar nicht begreifen, was gerade geschehen war. Julie hatte ihn noch auf den Armen, als er laut zu schreien begann. Verzweifelt, laut! Seine runden Augen suchten die Umgebung ab. Er strampelte, wollte sich aus Julies Arm befreien. Doch sie hielt ihn fest. Jetzt flossen auch schon die ersten Tränen. Julie drückte den Jungen noch fester an sich. Es drehte ihr das Herz um, diese Verzweiflung zu sehen. Aber wie sollte sie dem Jungen helfen? Es gab nichts, das sie tun konnte, außer ihn noch fester an sich zu pressen und ihn zu streicheln. Julie hatte keine Kraft mehr. Kai schien es nicht anders zu ergehen, denn als sie wieder bei Dervit angelangt war, kniete er nur stumm neben dem kleinen blauen Mann und streichelte ihm über den Rücken. Simonja und Bernhard sahen fassungslos zu. Außer Dervit und Karon weinte noch niemand. Der Schmerz drückte wohl allen die Kehle zu. Jedenfalls hatte Julie das Gefühl, gleich ersticken zu müssen. Was würde nun werden? Was war das nur für ein schreckliches Wesen, das ihnen die Freundin genommen hatte? Julie hatte das Kind bei seinem Vater abgesetzt. Starr kniete der Junge neben seinem Vater, seine Augen blickten in unerkennbare Weiten. Sein Blick war leer! Die Tränen waren versiegt und nur ein trockenes Schluchzen schüttelte seine schmalen Schultern. Dervit stand auf. Er murmelte etwas vor sich hin und versuchte Karon zu streicheln. Aber kurz, ehe seine Hände den Kleinen berührten, verharrten sie in der Luft. Dervit machte den Eindruck, als hätte er den Verstand verloren.
    Doch dann sprach Dervit deutlicher.
    „Was soll ich nur Zuhause sagen? Was soll ich Thela sagen? Wieso konnte das geschehen?“ Die Worte klangen beinahe wie ein Lied. Monotone, gleichklingende Worte, die er immer wieder wiederholte. Erschrocken stand Julie da und beobachtete fassungslos, was Dervit da trieb. Doch endlich klärte sich Dervits Blick und seine Stimme wurde wieder fest.
    „Warum nur passiert das alles?“ fragte er jetzt an Kai gewandt. „Wir waren doch so glücklich. TsiTsi und ich. Möge doch Morsena uns helfen!“
    Dann suchten seine Augen verzweifelt nach Bernhard.
    „Ich weiß nicht, weshalb ich meine Frau verlieren musste! Diesmal kannst du uns auch nicht helfen, mein Freund!“
    Julie sah, wie Bernhard schwer schluckte. Diesmal war auch er hilflos im Angesicht dieser Tragödie. Dervit war nun ruhiger geworden, er zog Karon in seine Arme und unausgesprochene Trauer und Schmerz zogen tiefe Kerben in sein Gesicht. Plötzlich, ohne dass irgendwer sie hätte kommen sehen, standen zwei Gelbländer vor ihnen. Julie erkannte in ihnen die beiden, die sie schon an ihrem ersten Tag im Gelben Land getroffen hatten. Beim ersten Zusammentreffen hatten sich die Erdlinge gehörig blamiert. Das wollte niemand wiederholen, deshalb schwieg man diesmal lieber. Die Beiden waren beinahe genauso angezogen, wie beim ersten Zusammentreffen. Nur das Kleid der Frau war diesmal ein Rotes. Damals hatte sie ein Blaues angehabt, erinnerte sich Julie. Damals hatten die beiden Gelbländer nur still da gestanden und hatten die Gruppe beobachtet. Doch diesmal neigte der Mann zur Begrüßung seinen Kopf.
    „Mein Name ist Karmai!“ stellte er sich nun vor. Seine Stimme hatte einen durch und durch melodischen Klang.
    „Und dies hier ist meine Frau, Karsina. – Wir sind keine Fremden

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