Herr des Chaos
Elayne dabei doch sehr geschickt sei, ließ es aber sein, als Birgitte schnaubte.
»Ich habe nein gesagt! Du hast viele Rollen gespielt, seit ich dich kennenlernte, Nynaeve, aber töricht warst du doch nie! Licht, in ein oder zwei Tagen werden sie es ohnehin öffentlich bekanntgeben.«
»Wir müssen es aber jetzt wissen«, zischelte ihr Nynaeve zu, und sie konnte gerade noch ein ›du idiotisches Mannweib‹ unterdrücken. Töricht? Selbstverständlich hatte sie noch niemals töricht gehandelt! Sie durfte sich nicht aufregen. Sollte sie Elayne zur Abreise überreden können, würden sie sich in ein oder zwei Tagen nicht mehr hier befinden. Nein, am besten öffnete sie diesen Sack voll Schlangen nicht noch einmal.
Schaudernd - ein wenig übertrieben, wie Nynaeve fand - stützte sich Birgitte auf ihren Bogen. »Man hat mich einmal dabei erwischt, wie ich Aes Sedai belauschte. Drei Tage später haben sie mich an den Ohren gepackt und hinausgeworfen, und ich verließ Schaemal so schnell, wie ich nur ein Pferd auftreiben konnte. Das werde ich nicht noch einmal durchmachen, nur, um für euch einen einzigen Tag zu gewinnen, den ihr nicht benötigt.«
Nynaeve bewahrte Ruhe. Sie bemühte sich sogar, eine gelassene Miene zur Schau zu tragen und keinesfalls mit den Zähnen zu knirschen oder an ihrem Zopf zu reißen. Sie war ganz ruhig. »Ich habe noch nie in einer Geschichte vernommen, daß du einmal Aes Sedai belauscht hättest.« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, hätte sie sie auch schon am liebsten zurückgerufen. Birgittes Geheimnis lag eben darin, daß sie wirklich die Birgitte der Legenden war. Nichts, was diese Verbindung verraten konnte, durfte jemals erwähnt werden.
Einen Augenblick lang wirkte Birgittes Gesicht wie versteinert und verbarg so all ihre Gefühle. Es reichte, um Nynaeve schaudern zu lassen. Im Geheimnis der anderen Frau lag zuviel Schmerzliches verborgen. Schließlich wurde wieder Fleisch und Blut aus dem Stein, und Birgitte seufzte. »Die Zeit ändert vieles. Ich kann selbst die Ursprünge der Hälfte dieser Legenden kaum noch erkennen, und die andere Hälfte kommt mir vollkommen fremd vor. Wir sollten nicht mehr davon sprechen.« Letzteres war eindeutig nicht bloß als Vorschlag gemeint.
Nynaeve öffnete den Mund, ohne eigentlich zu wissen, was sie sagen wollte. Sie schuldete es Birgitte, ihren Schmerz nicht auch noch zu schüren, aber gleich zwei so simple Bitten abzulehnen...! Und plötzlich erklang die Stimme einer dritten Frau von der Ecke zur Gasse her: »Nynaeve, Janya und Delana wollen Euch augenblicklich sprechen.«
Nynaeve wäre fast in die Luft gegangen, so überrascht war sie, und ihr Herz setzte einen Moment lang aus.
An der Ecke stand Nicola in ihrem Novizinnenkleid, und auch sie blickte nun einen Augenblick lang verblüfft ob der Wirkung ihrer Worte drein. Genau wie auch Birgitte, doch die wandte sich schnell einer amüsierten Betrachtung ihres Bogens zu.
Nynaeve mußte zweimal schlucken, bevor sie auch nur ein Wort herausbrachte. Wieviel hatte die Frau gehört? »Falls Ihr glaubt, auf diese Art mit einer Aufgenommenen sprechen zu können, solltet Ihr schnell dazulernen, sonst wird man Euch bessere Umgangsformen beibringen.«
Das war ganz die Art von Antwort, die man von einer Aes Sedai erwarten konnte, doch die dunklen Augen der schlanken Frau musterten Nynaeve nachdenklich. »Es tut mir leid, Aufgenommene«, sagte sie und knickste dabei. »Ich werde mich bemühen, mich das nächste Mal in acht zu nehmen.«
Der Knicks war genauso tief, wie er für eine Aufgenommene sein sollte, bis auf den Fingerbreit, und falls ihr Tonfall als kühl zu bezeichnen war, dann doch noch in einem Rahmen, für den sie nicht zu tadeln war. Areina war nicht ihre einzige Reisegefährtin gewesen, die voller Enttäuschung die Wahrheit über Nynaeve und Elayne erfahren hatte, doch Nicola war einverstanden gewesen, ihr Geheimnis zu wahren, und sie hatte sich verhalten, als überrasche es sie, daß die beiden es überhaupt für nötig gehalten hatten, sie darum zu bitten. Danach, als nämlich die Überprüfung ergeben hatte, daß auch sie lernen konnte, mit der Macht umzugehen, hatte sie sich diesen abschätzenden Blick angewöhnt.
Nynaeve verstand das nur zu gut. Nicola war das Talent zwar nicht angeboren und sie hätte ohne die richtige Unterweisung Saidar nie berührt, doch schon jetzt versprach man sich eine Menge von ihr und bewunderte die Kraft, die sie besitzen würde, wenn sie sich nur
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