Herr des Lichts
besudeln zu können - da fühlte ich plötzlich, wie die Macht des Schicksals über das Land kam. Ich bin weit geflogen und habe wahrhaft viele Dinge gesehen, Herr des Lichts.«
»Was hast du gesehen, Vogel, der einmal ein Dichter war?«
»Ich habe am Ende der Welt einen aufgeschichteten, jedoch noch nicht brennenden Scheiterhaufen gesehen, über den die Nebel flossen. Ich habe die Götter gesehen, die, um nicht zu spät zu kommen, über den Schnee hasteten, hoch in den Wolken daherjagten und draußen über der Kuppel kreisten. Ich habe die Ranga- und Nepathya-Spieler gesehen, wie sie für die Hochzeit von Tod und Zerstörung die Blutmaske einstudierten. Ich habe Vayu-Herr gesehen, der seine Hand hob und den Winden, die durch den Himmel kreisen, Einhalt gebot. Ich habe den regenbogenfarbenen Mara gesehen - er stand auf der Spitze des höchsten Turms - und habe die Schicksalsmacht gefühlt, die er erweckt; habe auch gesehen, wie die Phantomkatzen im Urwald unruhig wurden und dann in Richtung auf die Stadt liefen. Ich habe die Tränen eines Mannes und einer Frau gesehen. Ich habe das Gelächter einer Göttin gehört. Ich habe einen hell leuchtenden Speer gesehen, der gegen den Morgen geschwenkt wurde, und habe gehört, wie ein Eid gesprochen wurde. Und ich habe schließlich den Herrn des Lichts gesehen, von dem ich vor langer Zeit einmal geschrieben habe:
Ewig sterbend, niemals tot;
Ewig endend und kein Ende;
Die Dunkelheit haßt er,
Lichtumhüllt ist er,
So kommt er, eine Welt zu enden,
Wie der Morgen die Nacht.
Diese Zeilen von Morgan sind frei
Für den, dem am Tag seines Todes
Ich dies prophezei.«
Der Vogel plusterte seine Federn auf und schwieg.
»Es freut mich, Vogel, daß du die Gelegenheit hattest, viele Dinge zu sehen«, sagte Sam, »und daß du durch deine Dichtung und Metaphorik eine gewisse Befriedigung erlangt hast. Unglücklicherweise unterscheidet sich die dichterische Wahrheit beträchtlich von dem, was im wesentlichen das Geschäft des Lebens ausmacht.«
»Heil dir, Herr des Lichts!« sagte der Vogel und schwang sich in die Lüfte. Als er emporstieg, durchbohrte ihn ein Pfeil, der von einem nahen Fenster abgeschossen worden war. Der Schütze haßte Jakobsvögel.
Sam eilte weiter.
Es heißt, daß die Phantomkatze, unter deren Prankenhieben er und kurze Zeit später Helba ihr Leben ließen, in Wirklichkeit ein Gott oder eine Göttin gewesen sei - was durchaus möglich sein könnte.
Es heißt auch, daß diese Phantomkatze, die die beiden tötete, nicht die erste oder zweite war, die dies versuchte. Mehrere Tiger starben durch den Hellen Speer, der in ihre Leiber fuhr, sich selbst wieder herauslöste, so lange vibrierte, bis alle Blutspuren verschwunden waren, und endlich in die Hand des Werfers zurückkehrte. Aber dann fiel Tak vom Hellen Speer selbst. Ganescha, der heimlich den Raum, in dem der Archivar stand, betreten hatte, schlug ihm von hinten einen Stuhl über den Kopf. Einige sagen, daß der Helle Speer später von Agni verbrannt wurde, andere wieder glauben, daß er von Maja über das Weltende geworfen wurde.
Wischnu fühlte sich bei all dem nicht wohl. Es wurden ihm die Worte zugeschrieben, daß man die Stadt nicht mit Blut hätte beflecken dürfen, weil das Chaos eines Tages überall dorthin, wo es einmal geherrscht hat, zurückkehrt. Aber die jüngeren Götter lachten ihn aus, denn er galt als der Geringste unter den Trimurti, und von seinen Ideen hieß es allgemein, daß sie etwas veraltet seien - schließlich gehörte er auch zu den Ersten. Jedenfalls wollte er an den Taten des Himmels keinen Anteil haben und zog sich für einige Zeit in seinen Turm zurück. Varuna-Herr, der Gerechte, wandte sein Antlitz von den Vorgängen ab und zog sich in den Pavillon des Schweigens am Weltende zurück, wo er eine Weile in dem Raum saß, der >Furcht< heißt.
Die Blutmaske wurde ein guter Erfolg. Der Dichter Adasay aus der Anti-Morgan-Schule, der bekannt war für seine elegante Sprache, hatte sie geschrieben. Begleitet wurde die Aufführung durch die machtvollen Illusionen, die der Träumer speziell für diese Gelegenheit über die Versammlung warf.
Es heißt, daß auch Sam an diesem Tag in eine Trugwelt versetzt wurde, daß er - als Teil seines vorbestimmten Loses - streckenweise ins Dunkel getaucht, durch entsetzlichen Gestank und durch Gebiete des Wimmerns und Kreischens geschritten war, daß er noch einmal jeden Schrecken vor sich gesehen hatte, der ihm in seinem Leben,
Weitere Kostenlose Bücher