Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
über Ilyjia, von Brens neu entdeckter Fähigkeit der Translokation in der Nebelform, von Velons Tod. Sie hatten auch Nachrichten empfangen, aber das waren die militärisch knappen Berichte über den Verlauf des Kriegs an den anderen Fronten gewesen. Der Palast des S CHATTENKÖNIGS schwieg. Noch.
»Ihr wirkt nachdenklich«, tastete Attego. »Bereitet Euch die Erinnerung wieder Kummer?«
»Nicht die Vergangenheit quält, sondern die Gegenwart verwirrt«, sagte Bren.
Gemächlich schritt er zwischen den schwarzen Tuchen umher. Attegos Oberlippe zitterte. Warum war der Dunkelrufer aufgeregt? Wähnte er sich auserwählt, allein in einem Raum, im vertraulichen Gespräch mit dem Schattenherrn, der das Schwarze Heer in Ilyjia befehligte? Oder hatte er Angst, weil er um seine eigene Zerbrechlichkeit wusste?
»Es ist, als gäbe es zwei Kirettas«, fuhr Bren fort. »Diejenige in meiner Erinnerung. Eine Frau voll Kraft und Leben, ohne Sorgen und entschlossen, das Leben zu genießen, egal, welche Härten es ihr entgegenstellen mag. Unter den Seeräubern hatte sie es nicht leicht, ihr Kapitän hat über sie verfügt, in jeder Hinsicht. Aber sie blieb ungebeugt, und am Ende hat sie sich durchgesetzt. Die Zeit zeigt immer die Wahrheit.«
»Nur was ewig ist, wird bestehen«, rezitierte Attego.
Bren nickte knapp. »Und dann ist da diese andere Kiretta. Nervös, beinahe scheu, zaudernd, voller Bedenken. So kann sie als Piratin nicht gewesen sein. Wenn sie Beute machte, dann musste sie die Schätze anderen abnehmen. Sie kann nicht diese Skrupel gehabt haben, die sie jetzt wie ein Banner vor sich herträgt. Sie klagt mich an.«
Attego sog angesichts dieser Ungeheuerlichkeit die Luft ein.
»Aber sie meint nicht mich, sie meint die Welt. Soll ich zu einem Schwächling werden? Damit es Schattenherzog Xenetor reut, mir die Unsterblichkeit gegeben zu haben? Damit er kommt und mir mein eigenes Haupt vor die Füße legt?« Sanft schüttelte er den Kopf. »Wieso begreift Kiretta nicht, dass sich die Schatten über die Welt legen müssen? Niemand könnte das verhindern. Wir vermögen nur Teil von ihnen zu werden und Kraft aus ihrer Stärke zu ziehen. Wer ihnen zu trotzen versucht, wird gebrochen.«
»Wie Akene«, sagte Attego. Der Widerschein der Feuer, die draußen die Stadt verzehrten, zuckte auf seinem grinsenden Gesicht.
»Oft erscheint sie mir nun so … klein. So unverständig. Und undankbar. Was ihr geboten wird, wird kaum eine Sterbliche jemals erreichen. Will sie einen Palast? Zofen? Kleider? Geschmeide? Eine Bibliothek? Nichts davon ist weiter entfernt als ein Wort von mir.« Er verschränkte die Arme. »Mehr könnte sich selbst der gierigste Seeräuber nicht erträumen. Und doch ist sie unzufrieden. Ich erkenne sie nicht wieder. Hat die Zeit mit dieser Mondpriesterin sie so sehr verändert?«
»Vielleicht ist es etwas anderes, Herr.«
»Sprich.«
Attego strich sich über das Gesicht, als könne er dort den rechten Beginn finden. »In meiner Kindheit wusste ich nur wenig vom Kult. Meine Eltern, meine Großeltern, meine Tanten und Onkel waren Bauern. Ich wuchs auf einem Gehöft auf und hatte eine Forke in der Hand, sobald ich auf den eigenen Beinen stehen konnte. Die Fahrt mit dem Ochsenkarren zum Gemüsemarkt unten im Dorf war ein Abenteuer. Meine Brüder und ich wetteiferten darum, wer mitkommen konnte, und arbeiteten uns die Buckel krumm, um von unserem Vater ausgewählt zu werden. Manchmal kamen nämlich Krieger in eisernen Rüstungen, um Verpflegung für die ondrischen Truppen einzukaufen. Unsere liebste Mutprobe bestand darin, möglichst nahe an diese Männer heranzukommen. Wir hielten das für gefährlich. Manchmal verpassten sie einem Kind eine so kräftige Maulschelle, dass es im hohen Bogen davonflog. Sie wussten, dass kleine Hände geschickt im Beutelschneiden sein können. Trotzdem gelang es mir, sogar ein Schwert zu berühren! Ich tat so, als prügelte ich mich mit einem Vetter, und ließ mich von ihm gegen den Krieger schubsen. Der Mann tat mir nichts, aber mein Vetter hatte sich in der Keilerei nicht zurückgehalten. Erst drei Wochen später verblassten meine blauen Flecken.«
»Aber du hast die Mutprobe gewonnen«, stellte Bren mäßig interessiert fest.
Attego nickte, noch immer von grimmiger Freude erfüllt. »Vom Kult sahen wir als Kinder nur Laienprediger. Eine Gruppe Pilger auf dem Rückweg von Karat-Dor war ganz erfüllt von den Zeremonien, deren Zeuge sie dort geworden war. Man hatte einige Priester
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