Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
wieder glätten, wie es bei Quinné geschehen war. Bei ihr hatte das Alter, die Natur, diese Spuren gezogen, bei Quinné der Verlust der Lebenskraft, die Bren ihr genommen hatte. Von Letzterem erholte sich ein menschlicher Körper weitgehend, wenn er in Ruhe gelassen wurde, Ersterem strebte er entgegen. Aber diese Erinnerung an körperliche Schwäche und Sterblichkeit störte Bren kaum. Schlimmer war Kirettas Unverständnis. Sie begriff nichts von der Macht der Schatten, von den unausgesprochenen Geboten, deren Einhaltung der S CHATTENKÖNIG erzwang. Und sie brachte besiegten Feinden ein unangemessenes Maß an Mitleid entgegen. In diesem Moment stimmte Bren den Lehren des Kults stärker zu, als er es jemals getan hatte.
»Sie haben deine Befehle falsch verstanden«, fuhr sie etwas ruhiger fort, als er aufstand und seinen Morgenstern aus der Halterung nahm. »Sie gehen weit über das hinaus, was du wolltest. Weshalb sollten sie sterben? Halbe Kinder sind darunter.«
Bren hörte, wie sie ihm zur Treppe folgte, während Ehla zurückblieb und die Bettstatt richtete. »Sie waren zugegen, als ein Schattenfürst starb und haben es nicht verhindert.«
»Wie hätten sie das können?« Kirettas Stimme überschlug sich.
»Das ist ihr Problem, nicht unseres. Es ist lange her, dass ein Schattenfürst starb. Der S CHATTENKÖNIG , die Welt erzittere vor S EINEM Namen, wird nicht erfreut darüber sein. E R wird Erklärungen verlangen, die Köpfe der Schuldigen und die Kunde von einer angemessenen Bestrafung aller, die bei dieser Ungeheuerlichkeit zugegen waren.«
»Aber eine solche Strafe ist maßlos!«
Die Rufe der Menge, die sich auf dem Tempelplatz versammelt haben musste, drangen in die Ritterhalle. Bren hielt inne und sah in Kirettas blaue Augen. Er erinnerte sich daran, mehr als einmal in diesen Seen versunken zu sein. Er wusste auch, dass er es genossen hatte, in ihren Armen der Zeit zu entkommen. Eine Art von Ewigkeit, die auch Sterblichen zugänglich war, in Momenten größten Glücks. War es für Kiretta noch immer so, wenn er sie liebkoste? Er war aufmerksamer und ausdauernder, als jeder atmende Mann es hätte sein können, und auch seine übermenschliche Kraft hatte er unter Kontrolle, wurde er doch selbst nicht mehr von der Lust gepackt. Er musste nur aufpassen, dass er nicht begann, Kirettas Essenz zu rufen. Auch dies war ihm bisher gelungen.
Soweit er es erfassen konnte, hätte sie glücklich sein müssen. Zumal sie durch die Nähe zu ihm in die höchsten Kreise der Macht aufstieg. Auch Bren konnte die dunkelsten Gesetze der Schatten nicht ändern. Aber selbst wenn er es vermocht hätte, hätte er es nicht für eine zeternde Frau getan, die an der Schwelle zur Hysterie stand. Wie viel einfacher war es doch, einen schweigenden Haken zu lieben, der zudem noch in einer Truhe lag, die man jederzeit schließen konnte?
Sie traten in die Nacht hinaus. Der westliche Himmel zeigte ein Nachwehen der Abenddämmerung. Silions silberne Scheibe sah auf eine Szenerie hinab, die der Mondmutter missfallen musste.
Attego dagegen hatte sichtlich Freude daran, als ein Ghoul einen weiteren der Edlen, die mit Velon auf dem Friedhof gewesen waren, auf das Podest zerrte. Die Pranken der Leichenfresser waren nicht für ihr Feingefühl bekannt, deswegen wunderte sich Bren nicht über die Schreie des jungen Mannes. Sie wurden zu einem Wimmern, als menschliche Knechte ihn übernahmen und an ein Gerüst banden, gut sichtbar für die Menge.
»Gewinne einen schnellen Tod, indem du mir sagst, wer diese Angreifer waren und wo sie zu finden sind!«, rief Attego. Der Schinder mit dem Häutermesser grinste vorfreudig. Bren hatte viele Folterknechte kennengelernt, deren Klugheit sich nicht einmal mit der eines Grottenolms hätte messen können, aber dieser hier war anders. Er war fein gekleidet, und seine Gestalt war die von jemandem, der lieber Bücher las als Holz hackte. Manchmal interessierten sich nachgeborene Sprösslinge aus edlen ondrischen Häusern für solche Tätigkeiten, vor allem, wenn sie die Lehren des Kults über Grausamkeit als Zeichen charakterlicher Stärke verinnerlicht hatten.
Attegos Opfer war nicht der Erste, der gerichtet wurde. Ein Dutzend weitere starb an den Säulen des Tempels vor sich hin. Man hatte sie mit Ketten hochgezogen. So baumelten sie stöhnend, während sich Fliegen auf ihr entblößtes, tropfendes Fleisch setzten.
»Er weiß es doch nicht«, wimmerte Kiretta.
»Natürlich nicht. Darauf kommt es auch
Weitere Kostenlose Bücher