Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)

Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)

Titel: Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
Vom Netzwerk:
zu Ghoulen gemacht. Eine Pilgerin brach in Tränen aus, als sie uns berichtete, wie die körperliche Umwandlung der Verurteilten die Kleidung zerrissen hatte. Unsere kindliche Vorstellungskraft erschuf überdeutliche Bilder in unseren Köpfen. Schwarze, eklige Zungen, die zwischen monströsen Kiefern hervorleckten. Pranken, groß genug, einen Kinderschädel zu umfassen und zu zerquetschen. Vor allem die Augen beschrieb uns die Pilgerin, sie konnte gar nicht damit aufhören. Dumpf und doch mit einem Nachglühen von Verstand darin, sagte sie. Und sie weinte dabei in einem fort. Ob vor Rührung oder vor Furcht weiß ich bis heute nicht. Wahrscheinlich mischte sich beides in ihrer Erschütterung.«
    »Und wegen solcher Erzählungen bist du in den Kult eingetreten?«
    »Auch, ja. Die Macht der Schatten begann mich zu faszinieren. Ich begriff, dass man entweder Hammer sein kann oder Amboss, entweder Wunden schlägt oder sie empfängt.«
    Manchmal auch beides zugleich, dachte Bren.
    »Dennoch musste ich die Macht der Schatten mit eigenen Augen schauen, bevor ich mich dem Kult unterwarf. Diese Gnade wurde mir gewährt, als wir nach Joquin reisten. Die Kleinstadt, in der Masirron gewirkt hat. Mein Vater pilgerte zu seinen Gebeinen. Ich durfte ihn begleiten, nachdem sich mein Bruder beim Spielen das Bein gebrochen hatte.«
    »Kein Zufall, nehme ich an.«
    »Euch bleibt nichts verborgen, Herr.« Selbstgefällig grinste Attego. »Jedenfalls war es in Joquin, wo ich zum ersten Mal einen Tempel des Kults sah. Von der annähernd runden Kuppel stachen Aufsätze in den Himmel, gleich Klingen, die sich drohend den Göttern entgegenreckten. Pranger säumten den Weg zu seinen abwärts führenden Treppen, an einem davon verweste eine Leiche. Verurteilte schleppten schwere Steine. Peinlich genau achteten Seelenbrecher darauf, dass sie zu einer exakten Pyramide geschichtet wurden. War das geschehen, mussten die gleichen Gefangenen sie wieder abtragen und das Baumaterial zurück in die Wildnis bringen, damit ihnen die Sinnlosigkeit ihres Daseins offenbar würde. Ich sah in die Dunkelheit im Innern des Tempels, tastete an den Statuen aus Obsidian und sog beißende Dämpfe ein, bis mir schwindelig wurde. Ich glaubte, Visionen der Finsternis erahnen zu können. Ich fürchtete mich, und zugleich war ich voller Bewunderung. Schon auf dem Rückweg sagte ich meinem Vater, dass ich ihn und Mutter verlassen würde, um Kleriker zu werden.«
    »Dieser Tempel muss eindrucksvoll gewesen sein.«
    »Das dachte ich auch. Immer, wenn ich mich an ihn erinnerte, war er erhaben, mächtig und finster, ein Fanal der Macht, die sich auf die Welt legt, um alles Aufbegehren zu ersticken. Noch als ich zum Dunkelrufer erhoben wurde, war mir die Vorstellung angenehm, eines Nachts nach Joquin zu kommen und den Vorsitz des dortigen Tempels zu übernehmen.«
    »Stattdessen bist du in Orgait geblieben.«
    Traurigkeit lag in Attegos Kopfschütteln. »Ich bin nach Orgait zurückgekehrt. Tatsächlich bin ich in meine Heimat gereist, als meine Ausbildung in Zorwogrod schon weit fortgeschritten war. Es war ein Genuss, die Furcht in den Augen meiner Geschwister zu sehen. Sie führen das gleiche erbärmliche Leben, das auch das Schicksal meiner Eltern ist. Wühlen mit den Händen im Dreck und schätzen sich glücklich, wenn die Sauen ferkeln, ohne dabei zu krepieren. Oder ihre Weiber. Einige meiner Vettern hatten mich in meiner Kindheit gefoppt und verprügelt. Sie waren immer noch kräftiger als ich, aber nun mussten sie vor mir knien. Nun ja, ich genoss meinen neuen Status und stellte eine Pilgergruppe aus meinen Verwandten zusammen, um nach Joquin zu reisen. Ich wollte ihnen die Macht der Schatten zeigen und zugleich herausfinden, welche Möglichkeiten es gäbe, den dortigen Tempel an mich zu reißen. Aber dazu kam es nicht. Ich war regelrecht erschüttert von dem kümmerlichen Anblick, den das Bauwerk bot.«
    »Hat man es verfallen lassen?«
    »Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, man hatte es ausgebaut. Es gab jetzt eine Statue von Masirron, an ihren scharfen Kanten konnten die Verehrer kleine Tiere quälen. Die Pranger waren auch überlegter gestaltet worden, jedenfalls konnte ich mich an die Dornen nicht erinnern. Der Tempel hatte sich zum Besseren verändert. Aber ich war nicht mehr der Gleiche wie bei meinem ersten Besuch. Wie erbärmlich war ich als Kind gewesen, und welche Geheimnisse hatte ich inzwischen geschaut? Ich hatte in der Kathedrale von Karat-Dor gelebt,

Weitere Kostenlose Bücher