Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
geworden. Damals gab es wohl keine Schmerzen bei einer Geburt. Sie stimmten Gesänge an, um ihre Nachkommen in die Welt zu locken.«
»Ich nehme an, das haben sie schon versucht?«
»Mehr als einmal. In dieser Enklave ist die Natur zwar stark, aber die Fayé haben die Verbindung zu ihr verloren. Sie haben sich verändert.«
»Sie sind in die Dunkelheit gefallen.«
»Der Weg zurück wird lange dauern.«
Nalaji benutzte das nasse Tuch, um die Königin zu reinigen, vor allem zwischen den Beinen, wo eine bläuliche Flüssigkeit aus der Scheide trat. Zu wenig, als dass eine Fruchtblase hätte geplatzt sein können. Sie tastete den Bauch ab. Das Kind bewegte sich darin.
»Ich könnte einen Schnitt setzen.« Sie zog den Zeigefinger leicht oberhalb des Beckens von links nach rechts, um zu verdeutlichen, was sie meinte. »Aber ich weiß nicht, ob Ihre Majestät das so gut verkraften würde wie eine Menschenfrau. Auch bei uns sterben manche daran. Wenn man mich mit einem blutigen Messer über der Leiche der Königin fände, würde das unsere Lage kaum verbessern.«
»Das stimmt.«
Sie sah durch das Fenster. Das aus den Blättern schwebende Licht erhellte die Umgebung. Überall waren Fayé zu sehen. Sie schwiegen und starrten mit ihren Nebelaugen auf das Haus, hielten aber Abstand. »Ist Vejata schon aufgegangen?«
»Sehen konnte ich ihn wegen der Bäume nicht, aber ich bilde mir ein, ihn zu spüren.«
Die Erinnerung daran, dass die Monde ihren Sohn nun ebenso schwächten wie jeden anderen Osadro, versetzte Nalaji einen Stich.
»Wir müssen sie nach draußen bringen.« Nalajis Stimme klang sicherer, als sie sich fühlte. »Kannst du sie …«
Mühelos hob er sie an.
»… tragen?«
Sie öffnete ihm die Tür, deren Aufhängung aus ungeschnittenen Pflanzenfasern bestand.
»Wohin?«, fragte er über das Raunen der Menge hinweg.
Sie zeigte auf ein Moosbett am Rande der Enklave. Hier wichen die göttergewollte, harmonische Natur und die von dämonischem Wirken pervertierte Wildnis des umgebenden Waldes voreinander zurück, sodass der Himmel zwischen den Wipfeln zu sehen war. Normalerweise behinderte ein Blätterdach die Kraft der Monde nicht, aber an diesem Ort war alles mit Magie oder göttlichem Wirken getränkt.
Mit einer Vorsicht, die sie in seinen sterblichen Tagen nie an Keliator beobachtet hatte, legte er Anoga ab. Nalaji kniete sich zwischen ihre Beine. »Eine Decke wäre gut«, meinte sie. »Wir sollten sie vor den Blicken ihrer Untertanen schützen.«
Keliator nickte.
Im Moment lag die Königin ruhig, die Schmerzen schienen sie nicht übermäßig zu quälen. Nalaji faltete die Hände und versuchte, sich in den Ritus der Ruhe zu versenken. Oft verwendete man ihn, um in der Gewissheit göttlicher Gnade einschlafen zu können, aber er hatte den Nebeneffekt, dass man schnell mit der Kraft der Mondmutter in Kontakt kam. Das war Nalajis Absicht.
Keliator war rasch mit der Decke zurück und breitete sie über den aufgedunsenen Leib. Nalaji ließ sich nicht ablenken.
Da! Sie spürte ihn. Vejata. Sein blaues Halbrund musste bald hoch genug gestiegen sein, um ihn zwischen den Wipfeln sehen zu können. Schon jetzt konnte sie sich mit seiner Kraft verbinden.
Das missfiel der Bosheit des Waldes. Wind kam auf, wurde zu einem klagenden Heulen, bei dem man nicht daran zweifeln konnte, dass es von Verstand beseelt war. Deformierte Tiere drängten heran. Ein Reh, aus dessen Beinen Dornen sprossen. Ein Keiler mit Haar aus übergroßen Igelstacheln. Schlangen mit Fangzähnen, so groß wie Dolche. Immer mehr solcher Kreaturen schoben sich zwischen den verdrehten Büschen und den krumm gewachsenen, sich wie in gelähmter Qual windenden Bäumen näher. Böen wehten schwarze Blätter heran, auf denen Blut klebte.
Die göttergefällige Enklave wehrte sich. An einigen Stellen drang das verfluchte Laub ein, aber das Licht legte sich wie Tau darauf, begann zu fließen und spülte es wieder hinaus.
Nalaji hatte nicht die Muße, dieses Treiben zu beobachten. Sie schloss die Augen, suchte mit dem Sinn einer Priesterin nach Vejatas blauem Mondlicht. Sie fand es schnell und lud es ein, in ihr Herz zu scheinen. Angenehm kühl füllte es sie aus. Ihr Pulsschlag verlangsamte sich. Die Ruhe half ihr bei der Konzentration auf das, was in Anoga vorging.
Sie hielt an dem blauen Licht fest, richtete ihre Aufmerksamkeit aber nach außen. Blind tasteten ihre Hände an Anogas Schienbeinen entlang, über die Knie hinweg, glitten über die
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