Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Mutter.«
Sie zog ihr Messer.
Noch immer verspürte Bren ein leichtes Unwohlsein, wenn er an Siérce zurückdachte. Er hatte sie als kindliche Königin kennengelernt. Gestorben war sie in einem Körper, der innerhalb von Herzschlägen ein Jahrhundert gealtert war, weil Bren ihm die Lebenskraft entrissen hatte. Dennoch fühlte er keine echte Reue. Zu stark war der vitalisierende Effekt, den Siérces Essenz auf ihn gehabt hatte und noch immer hatte. Wann war die Welt zuletzt so frisch gewesen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Und hatte Siérce etwa nicht darum gebettelt, die Finsternis sehen zu dürfen? Ihr Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Er dachte gern daran zurück, wie Siérces Essenz in ihn geströmt war. Inzwischen hielt er es sogar für möglich, dass er tatsächlich einen Widerschein ihrer Gedanken, ihrer Erinnerungen erfasst hatte. Hatte Lisanne nicht einmal behauptet, mit der Essenz auch das Wissen ihrer Quellen aufzunehmen? Warum hätte ihm das dann unmöglich sein sollen? Offenbar fand er sich schneller und intuitiver in den mystischen Gefilden zurecht als für einen jungen Osadro üblich.
Auch Ehlas Zeit war inzwischen gekommen. Bren war zu ihr gerufen worden, während er die Einsamkeit unter kalten Sternen gesucht hatte. Er hatte ihre letzte Bitte erfüllt und den Rest Leben eingeatmet, der noch in ihr gewesen war. Mutterliebe hatte er nicht mehr geschmeckt, nur Stolz und einen Hauch von Trotz gegen die Götter.
Vor denen galt es sie nun, nach ihrem Tod, zu schützen. Wer in den Schatten lebte, dem drohten die Ewigen unaussprechliche Qualen im Nebelland an. Niemand wusste, was dort geschah, aber kaum jemand bezweifelte, dass die Götter an jenem Ort Einfluss hatten, wohin die menschlichen Seelen gingen. Dennoch mussten sie sie erst einmal finden. Man vermutete, dass sie die Suche bei den verlassenen Körpern aufnahmen.
Bren hatte eine Beisetzung in allen Ehren befohlen. Kleriker hatten Ehlas Leib vorbereitet, eine langwierige Prozedur, die mit dem Einwickeln in schwarze Tücher endete. So glich der leichenstarre Körper einem gut verschnürten Paket, als man die Höhle erreichte und ihn vom Karren nahm.
»Dies ist ein guter Platz«, versicherte Jittara. »Eine natürliche Höhle, tief genug, damit weder Sonne noch Monde bis an ihr Ende scheinen. Zudem verläuft hier ein Astralstrom, der die Kräfte der Natur eindämmt. Hier werden die Götter sie nicht aufspüren können.«
Bren nickte zustimmend. Lisannes Anwesenheit irritierte ihn. Sicher war sie nicht hier, um Ehla das letzte Geleit zu geben. In der Tat musterte sie schon die ganze Zeit nur ihn, Bren. Dass er seine Geliebte eigenhändig getötet hatte, schien ihr Interesse noch gesteigert zu haben. Als sei er ein Schüler, dessen Fortschritte sie beobachtete.
Das Loch war bereits ausgehoben. Keine leichte Aufgabe bei dem steinigen Grund, aber der Stumpfsinn machte Ghoule geduldig und ihre Pranken hatten die nötige Kraft. Inzwischen waren die Leichenfresser fort, ihr Anblick hätte die Würde der Zeremonie gestört. Ganz abgesehen davon, dass sie wohl zu sabbern angefangen hätten, war Ehlas Leiche doch schon zwei Tage alt und demnach für sie eine lieblich duftende Speise.
Das Loch durchmaß einen halben Schritt und reichte vier in die Tiefe. Die beiden Seelenbrecher, die sie schon vom Karren gehoben hatten, banden ein Seil um Ehlas Füße und ließen sie mit dem Kopf voran hineingleiten.
»Der Finsternis hast du gelebt«, intonierte Jittara, »der Finsternis übergeben wir dich. Deinen Erfolg haben wir dir geneidet, vor deinem Hass uns gefürchtet, deiner Gier ausgeliefert, was sie verlangte. Möge dein Name mit Furcht geflüstert werden, wohin immer du kommst.«
Quinné nahm einen kleinen Stein vom Aushub. Es war ein Zeichen der Ehrerbietung, etwas aufzubewahren, das aus der Dunkelheit gekommen war, in der nun ein Verstorbener ruhte.
Als die Seelenbrecher das Loch zugeschüttet hatten, schickte Jittara sie mit dem Karren hinaus zu den wartenden Gardisten. Jetzt waren sie nur noch zu viert in der beinahe vollständigen Dunkelheit der Höhle, Jittara, Quinné, Bren und Lisanne. Sie gaben dem Schweigen Raum, während die schwach flackernde Laterne in Quinnés Händen immer neue Schatten aus den Felsen schuf.
Obwohl Jittara und Quinné zu Brens Gefolge zu rechnen waren, dominierte Lisanne ihre Umgebung mühelos. Ihr Charisma lastete auf der kleinen Versammlung wie ein Joch auf einem Zugtier. Den beiden Menschen war anzusehen, dass sie
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