Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
zahlen!«
»Kein Preis ist zu hoch für diesen Sieg, Mutter. Wir müssen Bren töten. Sein Geschick als Feldherr hat den Süden in ein paar Wochen unterworfen. Wenn wir ihn nicht aufhalten, sind alle Menschen verdammt, sich unter die Schatten zu beugen.«
»Bren …«, hauchte sie. »Er hat mir den Arm gebrochen. Und was ist mit Lisanne?«
Seine Kiefer mahlten, als er ihre Schiene betrachtete. »Alles zu seiner Zeit. Bren zuerst.«
Sie löste sich von ihm und ging ein Stück in die Nacht hinaus, bevor sie sich wieder zu ihm umwandte. »Du hast mir noch nicht gesagt, wovon ihr euch ernährt.«
»Du weißt es doch.«
»Ihr …« Sie versuchte, den Gedanken zu greifen, aber er entglitt ihr.
Keliator nickte. »Lebenskraft. Essenz, wie die Ondrier sagen.«
»Ihr nehmt fremdes Leben!«
»Jeder Krieger tut das.« Er verschränkte die Arme. »Wann immer es ging, nahmen wir von den Kämpfern, die wir überwanden. Männern wie denen, die das hier angerichtet haben.« Er zeigte auf die Ruine des Schäferhauses.
»Und wenn das nicht ging?«
»Einmal brauchten wir Freiwillige.«
»Was geschah mit ihnen?«
Er sah zur Seite.
»Was, Keliator?«
»Wir hatten nicht die Zeit, zu lernen, unsere Begierde zu zähmen. Du weißt nicht, wie es sich anfühlt, wenn frisches Leben in dich hineinströmt.«
Sie wich vor seinem verklärten Gesichtsausdruck zurück. »Das will ich auch nie erfahren!« Sein Oberkörper verlor die kriegerische Spannung. »Du hast recht. Diese Gier ist niemandem zu wünschen. Aber wir müssen uns ihr stellen, um siegen zu können. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist nicht mehr so deutlich wie einst.«
»Nein«, sagte sie und betrachtete ihren Sohn, den sie über alles liebte – und zugleich eine jener Blasphemien, die sie zutiefst verabscheute. »Ich weiß nicht mehr, was richtig ist.«
Er nahm ihre Hände, besonders vorsichtig die linke, wohl wegen der Armverletzung. Offensichtlich bewegte er sich bemüht langsam, um sie nicht zu verschrecken. »Ich freue mich, dich wiederzusehen, aber das ist nicht der Grund, aus dem ich hier bin. Wir brauchen dich, Mutter. Im Nachtschattenwald.«
Sie lachte auf. »Bei den Fayé?«
»Bei ihrer Königin. Anoga steht vor der Niederkunft, und es gibt Schwierigkeiten. Du bist die einzige Hebamme, der ich vertrauen kann.«
N EBEL
K önigin Anoga wimmerte. War das ein Zeichen der Besserung gegenüber den Schreien zuvor, oder ließ es befürchten, dass die Fayé das Bewusstsein verlöre?
»Bleibt bei mir, Majestät«, bat Nalaji. Sie hatte vielen Kindern ans Licht geholfen, aber alle waren von menschlichen Frauen geboren worden. Sie war so ahnungslos, was die Fayé betraf! Sie musste sich nur umsehen, um alle Zweifel daran zu vertreiben, dass sie hier eine Fremde war.
Schon tagsüber waren sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit gereist, aber nachts, wenn die zu Osadroi gewordenen Paladine ihre geschlossenen Kutschen verlassen hatten, hatte es kein Halten mehr gegeben. Ihre unsterblichen Augen hatten den Weg mühelos in der Dunkelheit erkennen können. Im Nachtschattenwald hatten Fayé sie in Empfang genommen, und damit hatte der Albtraum begonnen. Für Nalaji, die ihr Leben lang der Mondmutter gedient hatte, war der Anblick der vergewaltigten Natur, der verdrehten Bäume und der pervertierten Tiere eine beinahe schon körperliche Qual. Öfter als einmal hatte sie sich übergeben. Drei Tage und Nächte waren sie durch den von kranken, dämonischen Hirnen geschändeten Forst unterwegs gewesen, ohne nennenswerte Pausen. Nur die Erschöpfung hatte der alten Frau auf den rumpelnden Wagen Schlaf geschenkt. Wenigstens waren die Monde gnädig genug gewesen, um den Bruch ihres Oberarms ausheilen zu lassen.
Und dann, als sie schon geglaubt hatte, inmitten der gemarterten Natur den Verstand zu verlieren – das hier: Ein Areal, das so war, wie der ganze Wald vor Jahrzehntausenden gewesen sein musste, als die Fayé noch in der Gnade der Götter gestanden hatten. Himmelhohe Bäume, aus deren Blättern Licht sickerte. Regenbogen, die sich sogar nachts über kristallenen Teichen spannten. Blumen, die glockenhell klangen, wenn ein Windhauch sie streifte. Auch der Hausbaum, in den sich Anoga zurückgezogen hatte, war von einer Schönheit, wie sie nur die fantasievollsten und unschuldigsten Menschen in einem Traum finden mochten. Der Stamm hatte freiwillig einen Hohlraum geschaffen, eine Tür, Fenster und Wände, in denen das Holz von der Decke zum Boden zu fließen schien.
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