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Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)

Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)

Titel: Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Leuchtende Pflanzen rankten daran wie Girlanden, sogar Wasser trat aus einem Astloch und lief in eine halbkugelförmige Ausbuchtung, ein natürlicher Brunnen. Dies war ein Haus aus einer Zeit, in der die Fayé in Harmonie mit der Schöpfung der Götter gelebt hatten. Damals hatten sie gebeten und geschmeichelt, um zu bekommen, was sie begehrten, nicht geschändet und erzwungen, wie man es im heutigen Nachtschattenwald sah.
    »Ihr müsst mir helfen, Majestät. Sagt mir, was Ihr spürt.« Nalaji war froh, dass sie mit der Königin allein war. Dadurch konnte sie sich eine direkte Ansprache erlauben.
    Anogas Antwort war ein unverständliches Stöhnen.
    Das Gesicht der Fayé blieb für Nalaji undeutbar. Bei Menschen gaben die Augen die entscheidende Auskunft. Wenn man sich darauf verstand, konnte man an ihnen erkennen, ob ein Lachen ehrlich war, und konnte die Nervosität eines Gegenübers ebenso darin sehen wie seine Wollust oder Neugier. Bei Anoga waren die Augen nur Nebel, von der gleichen Farbe und genauso kalt und abweisend wie Gold. Sie hatte auch keine Lider, die Öffnungen waren von niedrigen Knochenwülsten eingefasst. Am ohnehin schwachen Mienenspiel nahmen sie nicht teil.
    Manchmal zeigten sich leichte Falten auf der breiten Stirn oder Wölbungen in den Wangen, aber es schien, dass die Haut straffer als bei einem menschlichen Kopf um den keilförmigen Schädel gespannt war. Das trug zu dem Eindruck ewiger Jugend bei, aber es reduzierte auch die Mimik. Immerhin zitterten die Lippen von Anogas kleinem Mund.
    Trotz aller Unterschiede glich sich die grundsätzliche Physis von Fayé und Menschen. Zwei Arme, zwei Beine, ein Rumpf, ein Kopf, obwohl die Fayé ein Ellbogengelenk und einen Finger mehr hatten. Und auch wenn sie androgyne Erscheinungen waren, war ihre Geschlechtlichkeit offensichtlich der menschlichen ähnlich. Anoga hatte eine Scheide und einen Busen, also wurden wohl auch junge Fayé gesäugt. Der Bauch der Königin war allerdings so monströs gewölbt, als trüge sie ein Kalb aus. Nalaji konnte nur hoffen, dass eine Geburt bei einer Fayé so ablief wie bei einer Menschenfrau.
    Soweit Nalaji hatte ertasten können, lag das Kind nicht anders im Bauch als bei einem Menschen. Musste es sich auch drehen und den Kopf in Richtung des mütterlichen Beckens wenden, um gefahrlos geboren werden zu können?
    Für Fragen war nach ihrer Ankunft keine Zeit gewesen, Anogas Wehen hatten sie bereits schreien lassen.
    Nalajis erste Patientin war jedoch sie selbst gewesen – die Krankheit, die sie bekämpfen musste, hieß »Müdigkeit«. Sie war aus ihrer Zeit in Orgait gewohnt, ihrem Körper mit einem Kräutersud vorzugaukeln, er habe geschlafen. Aber auch das hatte Zeit aufgezehrt. Und jetzt hockte sie neben dem von lebenden Gräsern und Blättern geformten Bett und konnte wenig mehr tun, als den Schweiß von der Königin zu wischen.
    Keliator brachte einen Kessel mit heißem Wasser. »Sie sind besorgt, Mutter«, sagte er.
    »Ich bin auch besorgt.«
    »Nicht so wie sie. Nach diesem Ereignis sehnen sie sich seit Jahrtausenden.«
    Nalaji war mehr als einmal Zeugin davon geworden, was Menschen taten, wenn ihre Sehnsüchte enttäuscht wurden. Die Fayé waren seit langer Zeit Vertraute der Finsternis. Sie wären kaum mitfühlender zu einer gescheiterten Heilsbringerin.
    Nalaji verbrühte sich, als sie ein Tuch in das heiße Wasser tauchte. Zischend zog sie die Hand zurück.
    »Ich muss nachdenken«, sagte sie und wollte die andere Hand benutzen, doch Keliator nahm ihr das Tuch ab.
    »Ich kann das machen.«
    Eine Welle lief durch Anogas absurd geschwollenen Leib. Sie riss den Mund auf, aber es dauerte einen Moment, bis sich der Krampf so weit löste, dass sie schreien konnte.
    »Drück sie zurück!«, rief Nalaji und fasste die Handgelenke der Königin. »Sonst verletzt sie sich selbst!«
    Anoga lag schon seit Wochen in den Wehen. Wenn sie auch zunächst nicht so mörderisch gewesen waren, hatten sie sie doch geschwächt. Trotz ihres Alters und ihrer eigenen Erschöpfung konnte Nalaji sie mühelos festhalten.
    »Ich weiß nicht, ob das normal ist bei einer Fayé-Schwangerschaft«, gestand Nalaji. »Was hältst du davon, einen von denen da draußen zu fragen? Vielleicht König Ilion selbst?«
    Zögerlich schüttelte Keliator den Kopf. »Sie sind verzweifelt, weil sie selbst nicht wissen, was hier geschieht. Ihre Erfahrungen mit Schwangerschaften liegen in Zeiten, in denen es kaum Menschen gab. Seitdem ist die Welt eine andere

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