Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Wenn sie auch unangenehm war, ließ sie ihm doch bewusst werden, dass er lebte, mehr war als ein Hammer, den die Hand eines Mächtigeren schwang.
Und hatte er diese Folter denn nicht verdient? Er hatte für die Unsterblichkeit gemordet, einen Wehrlosen erschlagen. Und das war erst der Beginn gewesen. Wer die Ewigkeit in den Schatten fand, der zog eine Spur von Blut und Tränen durch die Menschen, die ihn umgaben. Jahrhundertelang. Jahrtausendelang.
Bren war ein Osadro geworden, und das war ein anderes Wort für ›Monstrum‹. Aber er konnte es nicht ändern. Er konnte diesem Ritual keinen Einhalt gebieten. Gequält wand sich der Nebel.
Er stellte sich seinem Schmerz, ließ sich vom Weinen der Kinder durchdringen, hörte genau hin. Ihre Schreie waren eine Anklage, gegen die Finsternis, gegen den S CHATTENKÖNIG , gegen Bren selbst. Aber ob in Recht oder Unrecht, ob es ihm gefiel oder nicht – Bren hatte seine Wahl getroffen, spätestens, als er in die Schatten getreten war. Damals hatten ihn die Götter unwiderruflich verdammt. Jetzt war er mit der Finsternis verbunden, teilte ihre Schuld und ihr Schicksal. Das war der Preis für Macht und Unsterblichkeit.
Aber die Finsternis war in sich vielfältig. Es gab diverse Wirklichkeiten neben jener, die die Götter den Menschen zugedacht hatten. Die Finsternis war eher ein Reich der Möglichkeiten als des Tatsächlichen, eine ständige blutige Rebellion statt einer Ordnung, die einer Form von Harmonie zustrebte. Waren auch alle Geschöpfe der Finsternis Feinde der Götter, bedeutete das dennoch nicht, dass sie geeint zusammengestanden hätten. Die Dämonen, die die Fayé in den vergangenen Jahrtausenden beschworen hatten, betrachteten den Nachtschattenwald als ihren Besitz. Nicht alle davon hießen den Einfluss der Schattenherren willkommen. Und manche waren zu dumm, um zu verstehen, was in dieser Nacht vorging. Sie waren wie Bullen oder Ghoule – kraftvoll und geistlos.
Der Zauberkreis war viel stärker als jener, der Bren nach Guardaja gebracht hatte. Aber als Jittara versuchte, ihn auszubreiten und in eine weitere Dimension zu öffnen, drängten Wesenheiten aus eben jener Dimension dagegen. Ihre Domäne war so weit von der greifbaren Welt entfernt, dass ihnen das Konzept der Körperlichkeit fremd war. Bren konnte sie lediglich mit seinen mystischen Sinnen erfassen, die auch Kirettas Haken in der Ferne erspürten. Diese Unkreaturen waren wie giftiger Rauch, aber hier – jenseits des Greifbaren – konnten sie die Zauberzeichen attackieren. Sie taten es hirnlos, wie Raubtiere, die Fangzähne in den Hals ihrer Beute gruben. So fraßen sie die arkane Kraft des Zirkels, berauschten sich daran. Ihre ekstatischen Schreie ließen das magische Gitter erzittern. Sie lockten weitere ihrer Art an.
Bren spürte, wie Jittaras Ärger zu Besorgnis wurde, als die Schläge, mit denen sie die Angreifer zu vertreiben suchte, nur schwache Wirkung zeigten. Einige der Dämonen verloren den Halt, aber sie kamen rasch zurück, verstärkt von neuen Gefährten, deren Gier nach magischer Kraft ihrer eigenen gleichkam. Bald waren es so viele, dass nicht mehr alle an dem bebenden Zirkel Platz fanden. Die Verdrängten folgten den Strömen der Essenz zu ihren Ursprüngen. Bren sah, wie eine der Unkreaturen in einen Jungen fuhr und Besitz von ihm ergriff. Bren hatte sich so weit von der greifbaren Welt gelöst, dass er nur verschwommen wahrnahm, wie das Fleisch des Knaben kochte und Blasen warf, aus denen sich unförmige Glieder wanden, die nach den anderen Kindern schnappten. Gardisten eilten herbei, stießen ihre Schwerter in den kleinen Körper.
Jittara begab sich nun beinahe völlig in die arkanen Gefilde, wodurch die zierliche Gestalt ihres fleischlichen Körpers kraftlos zusammensackte. In der mythischen Wirklichkeit dagegen wuchs ihre Macht an, sodass ihre Präsenz das Licht schluckte und Finger von Dunkelheit aussandte, die über den Zirkel griffen und ihn hielten, wie ein Schmied ein Wagenrad fassen mochte. Das stabilisierte das Gebilde, aber die Dämonen blieben dennoch daran hängen, saugten seine Kraft aus, schwächten es.
Bren spürte Jittara verzweifeln. An diesen Gegnern würde sie scheitern, und das würde nicht mehr lange dauern! Mit jedem Moment wurden die Runen schwächer.
Bren musste es wagen. Er fixierte Kirettas Haken und konzentrierte sich auf das Bild, das in seinem Gedächtnis eingeprägt war. Bevor er den Haken an Quinné übergeben hatte, hatte er ihn mehrere
Weitere Kostenlose Bücher