Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Hakens gab es keine dämonischen Präsenzen. In diesen Bereich schienen sie nicht vordringen zu können, was ihnen deutlich spürbares Ungemach bereitete. Dennoch durfte sich Bren nicht zu hastig bewegen, er spürte mehrere Mondsilberklingen. Sicher waren das die Schwerter der Paladine.
Vorsichtig näherte er sich dem Haken. Bren materialisierte im Schatten eines moosbewachsenen Felsens.
Quinné kniete auf dem Boden und drückte den Kopf in ein Gras, das von einem fluoreszierenden Schimmer überhaucht war. »Mein Herr und mein Meister!«
Quinné bot ihm Kirettas Haken mit beiden Händen dar, wie eine zerbrechliche Reliquie. Entblößt von der Halterung, mit der er am Arm befestigt gewesen war, ähnelte er einer Sichel mit kurzem Griff, bei der die Außenseite des Bogens messerscharf geschliffen war. Eine ungewöhnliche, aber effektive Waffe, wie Kiretta bewiesen hatte. Bren nahm sie an sich.
»König Ilion erwartet mich außerhalb der Enklave«, flüsterte Quinné. »Er und seine Magier wollen die mystischen Gefilde erkunden. Sie haben mich nur kurz weggeschickt, zu dieser Mondpriesterin.« Sie spie das Wort aus. »Sie soll mich reinigen. Wieder einmal. Ilion meint, die Finsternis habe mich zu sehr besudelt. Nalaji versucht, mich zurück in die Gnade der Götter zu führen, indem sie mir kindische Vorträge über Güte und Harmonie hält.« Quinné sah aus, als hätte sie einen Schluck verdorbene Milch im Mund.
»Wo ist das Kind?«
»Königin Anoga lässt das Mädchen nicht aus den Augen. Ihr findet sie in dieser Richtung.« Quinné zeigte. »Dort steht eine Handvoll Bäume beisammen, alle beherbergen Unterkünfte. Menschliche Frauen wohnen dort, gemeinsam mit kleinen Kindern, viele noch Säuglinge. Anoga scheint zu glauben, das sei die richtige Gesellschaft für ihr Blag.«
»Nur ein paar Frauen und Kinder?« Die Spitze von Kirettas Haken blitzte.
»Die Mondpriesterin ist auch oft dort. Vielleicht sucht sie mich noch, aber irgendwann wird sie denken, ich sei zurück bei König Ilion.«
»Und sich wieder zur Königin begeben.«
Demütig nickte Quinné. »Sie ist so etwas wie eine Amme. Auch die Paladine sind ständig dort.«
»Ich habe ihre Mondsilberschwerter gespürt. Sie sind zu fünft?«
»Ja, Herr.«
Er nickte. »Ich werde schnell sein müssen.«
»Wie kann ich Euch helfen?«
»Geh zu König Ilion. Er soll keinen Verdacht schöpfen.«
»Wollt Ihr von meiner Essenz nehmen?«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist Zeit zu kämpfen.«
»Werdet Ihr mir später die Gnade erweisen, von mir zu nehmen, Herr?«
Bren war noch immer verwirrt davon, wie sehr sich manche Menschen danach sehnten, ihr Leben an die Schatten zu geben, nur um wenige Momente lang von Bedeutung für einen Osadro zu sein. »Wir werden sehen«, beschied er.
Er schlich zu der Baumgruppe. Seine Nacktheit war ihm ungewohnt. Wenigstens wurden so die katzenartigen Bewegungen seines unsterblichen Körpers von keiner Rüstung behindert. Von einem leichten Beben begleitet, huschte er schnell und lautlos über das saftige Gras, nutzte Felsen und Bäume als Deckung. Er kannte diesen Ort von seinem ersten Aufenthalt im Nachtschattenwald. Dennoch musste er sich selbst ermahnen, nicht innezuhalten und die Schönheit der Umgebung zu betrachten. Für die feinen Sinne eines Osadro war sie noch viel überwältigender als für die eines Menschen. Er sah in allen Einzelheiten, wie das Licht gleich Blütenstaub aus dem silbrigen Laub sickerte, und hörte das Klingen der Blumen nicht nur wie Glöckchen, sondern durch den vielfältigen Nachhall wie eine Symphonie, die sich nur dem offenbarte, der aufmerksam lauschte.
Bren fand alles so, wie Quinné es geschildert hatte. Ein kristallklarer Bach schlängelte sich durch die Wiese zwischen den bezeichneten Bäumen, um schließlich in einen nahen See zu münden. Auf einer Wurzel saßen zwei Frauen und schwatzten leise miteinander. Eine hatte ihr Mieder geöffnet und einen Säugling an die Brust gelegt. Weitere Menschen sah Bren nicht, aber die Nacht war ja auch schon einige Stunden alt. Sie würden schlafen, wenn ihre Kinder sie ließen und die Beben des Doppelneumonds sie nicht weckten. Dafür entdeckte er zwei Paladine, die nebeneinander hergingen. Wohl eine Streife. Gab es noch eine weitere? Falls ja, war sie nicht in Brens Blickfeld, und auch die Mondsilberschwerter spürte er nicht. Das galt aber auch für die Waffen der beiden, die er sah. In seinem fleischlichen Körper waren Brens mystische Sinne nicht
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