Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
oder der Positionierung der Kinder auszumachen.
Die Kinder. Bren erinnerte sich daran, dass ihm unwohl gewesen war, wenn er früher Schattenfürst Velon junge Frauen zugeführt hatte. Dabei hatte dieser keine von ihnen getötet, manche hatten sich ihm sogar aus freien Stücken gegeben, wie Quinné und Siérce es später bei Bren getan hatten. Den Gedanken an Kinder, denen man die Lebenskraft raubte, hatte Bren früher verdrängt.
Aber damals war er ein Mensch gewesen.
Jetzt betrachtete er die kleinen, runden Gesichter und wartete auf die Anklage des Gewissens in ihm. Beinahe hoffte er darauf. Er wusste, dass sich etwas hätte regen sollen. Mitleid mit den Unschuldigen. Oder mit den Eltern, die sie nie wieder in die Arme schließen würden.
»Das sind Sprösslinge betuchter Häuser«, stellte er fest. Bei keinem der Kinder waren Spuren von Hunger oder harter Arbeit zu entdecken.
Wieder zitterte die Erde. Das Grummeln des Bebens übertönte für eine Weile die Geräusche der einige Meilen entfernten Schlacht. Der Zauberkreis war in einem Ausläufer des Nachtschattenwalds gezogen worden, wo die dämonischen Kräfte noch nicht so stark waren. Die Truppen hatten sich weiter in seinem Inneren ineinander verbissen. Die ondrischen Linien würden stehen, als wüssten sie eine Steilklippe in ihrem Rücken. Sie hatten Lisanne bei sich. Es war besser, für die Schattenherzogin zu sterben, als um den Preis zu leben, sie enttäuscht zu haben.
»Ihr Tod wird uns nützen«, erklärte Jittara, als sich die Erde beruhigte. »Ihre Eltern haben die Schatten mit unzureichendem Enthusiasmus begrüßt. Andere waren zuvorkommender. Deren Kinder haben wir verschont. Der Tod von diesen hier wird jedem eine Lehre sein, dass nur jene bestehen, die in den Schatten leben, während die Trotzigen leiden.« Sie zeigte auf ein Mädchen. »Die hier hat noch einen jüngeren Bruder. Ihre Eltern sind Priester einer erbärmlichen Meeresgottheit, die schon zehn Meilen weiter niemand mehr kennt, aber in ihrer Stadt sind sie angesehen. Jetzt werden sie von Haus zu Haus gehen und die Macht der Finsternis predigen. Und ihre Herde dazu bringen, ihren Gott zu vergessen.«
»Weil sie wenigstens ihren Sohn retten wollen.«
Jittara nickte. »Er wird in der Obhut des Kults aufwachsen. Wir werden ihn in einen Tempel in der Nähe schicken, damit sie ihn besuchen können.«
»Und sehen, dass ihr ihm jederzeit antun könnt, was immer ihr wollt.«
»›Wir‹. Nicht ›ihr‹. Wir können mit ihm nach unserem Belieben verfahren.«
»So wie mit diesen hier.« Noch immer wartete Bren auf eine Regung seines Gewissens. Er erinnerte sich daran, einmal eines gehabt zu haben. Hatte er ihm gleichzeitig mit Kiretta den Kopf abgeschlagen? Oder war es schon vorher gestorben? Vielleicht war es auch nur betäubt und würde irgendwann wieder erwachen. Was würde er dann über diese Nacht denken?
»Noch ist Zeit«, sagte Jittara. »Wir können sie freilassen. Es gibt genug Eiferer, die begierig wären, Euch zu Diensten zu sein, indem sie Euch ihre Essenz darbringen. Aber wenn wir diese Nacht nutzen wollen, müsst Ihr jetzt entscheiden.«
Nochmals sah er in die Gesichter. Einige waren apathisch, manche weinten, viele Augen starrten schreckgeweitet. Kinder waren nicht so dumm, wie Erwachsene oft glauben wollten. Diese hier verstanden genau, dass sie ihre Eltern niemals wiedersähen und schon bald an einem Ort sein würden, der noch viel dunkler war als jener, an dem sie sich jetzt befanden. »Du sagst, ihre Essenz ist besser als die von Erwachsenen?«
»Sie ist potenter«, bestätigte Jittara. »Und es geht darum, einen Wunsch des S CHATTENKÖNIGS zu erfüllen.«
Da war kein Gewissen. Nicht in dieser Nacht. »Die Welt erzittere vor S EINEM Namen.« Bren trat in den Zauberkreis.
Der Singsang hob an. Die ersten Strophen hatten noch keine magische Wirkung, sie dienten nur dazu, die Sänger aufeinander einzustimmen. Bren wechselte in die Nebelform. Ihres Halts beraubt, sackte seine Kleidung zu Boden. Er war froh, die Halskrause loszuwerden.
Seit Quinnés Aufbruch hatte er Kirettas Haken niemals ganz aus seinem Bewusstsein gleiten lassen. Er vermutete, dass diese Verbindung selbst während des Tagschlafs bestanden hatte. Zwar konnte er sich an keine Träume erinnern, aber wenn er erwacht war, hatte er stets die Präsenz des Hakens gefühlt, seine ungefähre Distanz und grobe Richtung. Seit gestern Nacht hatte sich Quinné kaum bewegt. Sie musste am Ziel angelangt sein.
In
Weitere Kostenlose Bücher