Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
ihr saß. Die anderen wandten ihnen die Rücken zu. Keliator stand an einem verwachsenen Baumstamm, sodass er für einen Beobachter aus der Ebene nicht als eigenständige Silhouette erkennbar war. Er hielt Wache und würde sie alarmieren, sobald sich jemand näherte.
Nalaji zog die Decken zur Seite, dann entkleidete sie die Verwundete. Die Kälte verbündete sich mit dem Fieber und schüttelte den zitternden Körper, ließ die Haut aussehen wie die einer gerupften Gans und die Brustwarzen erhärten. Flehend hob Nalaji die Hände, erbat Vejatas Kraft.
Die Mondmutter zeigte sich gnädig. Kirettas Körper beruhigte sich, als sich ein sanftes, blaues Licht wie dünnes Tuch über ihn breitete. Die Anzeichen der Kälte verschwanden.
Nalaji spürte die Verbindung zu ihrer Patientin. Den Schmerz in ihrem rechten Unterarm, wo die Wunde brannte, noch mehr aber ein Ziehen in den Resten von Elle und Speiche, als stochere jemand mit langen Nadeln im Knochenmark herum.
Nalajis Achtung vor Kiretta wuchs, als ihr bewusst wurde, welchem Schmerz diese Frau seit einer Woche standhielt. Sie musste sehr stark sein. Eine Seefahrerin, wenn zutraf, was Narron in Erfahrung gebracht hatte.
Nalaji nahm so viel von Kirettas Pein in sich auf, wie sie wagte, und sandte sie zu Vejata empor, wo sie irgendwo in der Kälte des Nachthimmels erstarren und vergehen würde. Das Ritual zehrte an ihren eigenen Kräften. Sie musste darauf achten, den Kontakt zum Kreis der Gläubigen zu halten, um bei Bewusstsein zu bleiben.
Bevor ihre Aufmerksamkeit verebbte, sandte sie ihren Geist tief in den verwundeten Körper, suchte die Stellen, an denen der Fluss der Lebenskraft blockiert war, und beseitigte die Hindernisse. Sie fühlte Kirettas Atem nach, folgte der Luft, wie sie von den Lungen aufgenommen wurde und ihre Kraft an das Blut übergab, das den Körper versorgte. An manchen Stellen brannte es zu heiß, schädigte damit Kiretta selbst. Nalaji zog die Hitze dort ab und leitete sie an andere Orte, wo sie segensreich wirkte.
Je besser sie Kiretta kennenlernte, desto mehr entdeckte sie die innere Stärke der Frau. Als sie das Ritual beendete und ihre Sinne in die Welt des Greifbaren zurückholte, war sie überzeugt, dass sie den Arm würde retten können.
Die Gläubigen bemerkten, dass ihre Priesterin die heilige Handlung abgeschlossen hatte. Mit Dankesformeln schlossen sie die Andacht. Narron kam zu ihr und zog Kiretta ihre Kleidung wieder über den nackten Körper, den das blaue Leuchten nun verlassen hatte. Anschließend breitete er die Decken über sie.
Nalaji fand in einen schwankenden Stand und ging zu Keliator hinauf.
»In dieser Nacht sind viele Krieger unterwegs«, flüsterte ihr Sohn. »Zwei Reiterschwadronen auf der Straße, danach Fußkrieger, wenigstens einhundert Bewaffnete mit Trosswagen.«
»Futter für den Krieg«, sagte Nalaji.
Keliator nahm sie in den Arm. Er war ebenso stark wie Narron es früher gewesen war. Sicher vermisste er sein Schwert, aber es war unmöglich, eine Mondsilberklinge nach Orgait zu bringen. Sie wartete in der Hütte des Schäfers Peross auf ihn, einem Anwesen nahe Akene. Da man sich selbst in Ilyjias Hauptstadt nicht sicher sein konnte, wem man trauen durfte, trafen sich die verschworenen Feinde der Schatten gern außerhalb. Peross gehörte seit Jahrzehnten zu ihnen.
»Kiretta macht einen guten Eindruck«, stellte Narron fest, als er sich zu ihnen gesellte.
Nalaji nickte. »Sie ist schwach, aber sie wird überleben.«
Keliator atmete tief. »Wir müssen eine Botschaft von dem, was hier vor sich geht, nach Hause bringen.«
»Wir brauchen noch mehr Informationen«, widersprach Nalaji.
Sanft strich Narron eine Strähne aus ihrer Stirn. »Glaubst du wirklich? Wir wissen bereits einiges über Gerg, sogar über den Krieg gegen die Fayé. Das bleibt nicht bei einer einzelnen Stadt, es geht auch nicht um eine Baronie oder zwei. Die Fayé haben alle Unterhändler getötet, die der Schattenkönig ihnen geschickt hat. Wir wissen sogar, wo Widaja sie aufhalten will.«
»Aber wir haben noch keinen Schwachpunkt gefunden.«
»Das stimmt, aber wir dürfen nicht zu lange zögern!« Nur mühsam beherrschte Keliator seine Stimme. »Die Menschheit muss sich vereinen! Jetzt! Niemals waren die Schatten so verwundbar wie heute.«
Nalaji wusste, dass die beiden auf ihr Einlenken warteten, aber sie sagte nichts.
»Ich könnte die Gefallen einfordern, die man uns schuldet«, tastete sich Narron vor. »Das könnte uns Silber
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