Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!
Galileo abführten. Noch immer waren Menschen in den Gängen, doch die meisten saßen auf ihren Plätzen und waren noch nicht bereit für ein zweites Bier. Trotzdem verdrehten sie die Köpfe, als das FBI ihren Gefangenen an den Fressbuden und den Souvenirs vorbei zum Ausgang brachte.
Der Bus stand auf dem Parkplatz bereit. Davor warteten Anna und Hector Jackson (nicht verwandt) mit verschränkten Armen und von einem Ohr zum anderen grinsend. Auch Daryl Hewes war da. Er sah allerdings nicht ganz so fröhlich aus. Er war einfach nur erleichtert.
„Henry, waren Sie schon mal in einem Hochsicherheitsgefängis? Das haben Sie sich wirklich verdient. In zwei Stunden werden wir Sie in eines unserer besten Gefängnisse des Landes bringen. Während Sie auf Ihre Anhörung warten, werden Sie einen fantastischen Blick auf, nun, auf nichts haben, denn in Ihrem Zimmer wird es kein Fenster geben. Oh, da fällt mir ein, Sie haben das Recht, zu schweigen.“
Norm schob Galileo in den hinteren Teil des Busses und setzte sich dann mit Anna Jackson auf den Vordersitz. Hector und Daryl gesellten sich zu Galileo. Galileo saß auf einer Bank, die FBI-Agenten ihm gegenüber auf der anderen. Während Hector die Ketten an einem Haken im Boden befestigte, knallte Daryl die Tür zu.
Nach einer Stunde Fahrt stellte Daryl schließlich die Frage.
„Warum haben Sie Esme Stuart nicht umgebracht?“
Galileo sah von seinen Ketten auf. Hector starrte ihn an.
„Sie haben eine Freundin von mir ermordet. Ihr Name war Darcy Parr. Sie haben Dutzende unschuldige Menschen umgebracht. Aber Sie haben Esme leben lassen. Wieso?“
Obwohl das Radio an war, hörte in diesem Moment niemand der Baseballübertragung zu. Norm, der vorn saß, verdrehte den Kopf, um die Antwort besser mitzubekommen.
„Ich bin nicht losgezogen, um irgendjemanden umzubringen“, antwortete Galileo.
„Das beantwortet meine Frage nicht.“
„Das alles hätte verhindert werden können.“
„Warum haben Sie sie leben lassen?“
„Wäre es Ihnen lieber, ich hätte sie umgebracht?“
Ohne Vorwarnung sprang Daryl auf und legte die linke Hand um Galileos Hals.
„Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Sie umbringe?“, knurrte Daryl. „Hm? Würde Ihnen das gefallen?“
Sie waren nur Zentimeter voneinander entfernt, und selbst mit Handschellen hätte Galileo ihm die Waffe abnehmen können. Er tat es nicht.
Hector ignorierte das Geschehen so lange, bis er es sich nach einem Blick von Norm anders überlegte. Er trennte die beiden Männer. Galileo rang nach Luft. Sein Hals wies blasse Abdrücke auf, wo Daryl die Daumen in seine Haut gegraben hatte.
„Daryl“, grunzte Norm. „Entschuldigen Sie sich bei dem Psychopathen.“
Daryl blickte finster. „Tut mir leid.“
„Mir auch“, sagte Galileo sanft. „Ich habe das, was ich sagte, wirklich so gemeint. Ich wollte nicht, dass das alles geschieht, deswegen habe ich Esme leben lassen. Sie sollte mich aufhalten; ich musste aufgehalten werden. Ich wusste schließlich, dass Gott sich nicht einmischen würde. Sie haben Esme geholt. Sie sollte Ihre Expertin sein, deswegen habe ich sie dazu ausgewählt, mich zu stoppen. Sie hat versagt.“
Das war der Moment, als Tom aus Long Island anrief und Norm ihm von Galileos Verhaftung erzählte. Kurz darauf überquerten sie die Grenze zwischen Missouri und Kansas. Sie waren nun noch neunzig Minuten von ihrem Ziel entfernt.
Nach dem siebten Innig führten die Oakland Athletics fünf zu zwei, und Anna Jackson stellte einen Nachrichtensender ein. Wie nicht anders zu erwarten wurde über Gouverneur Kellermans Rede auf Long Island diskutiert.
„… und er hätte keinen besseren Ort wählen können, um seine Botschaft loszuwerden, inmitten seiner größten Fans, wo er sozusagen vor seiner eigenen Gemeinde predigte, was jetzt natürlich keine sehr zutreffende Metapher mehr ist, oder, Charlie?“
„Sie sagen es, Mitch! Am besten hören wir uns noch mal einige Auszüge aus seiner Rede an.“
Daryl hing seinen Gedanken über Darcy Parr nach und was hätte sein können. Galileo jedoch erwachte aus seiner Starre. Die Muskeln an seinem Hals und unter seinem gelben Poloshirt strafften sich. „Vor seiner eigenen Gemeinde predigen“ war jetzt keine zutreffende Metapher mehr? War es möglich, dass der Gouverneur nach all dieser Zeit doch noch mit der Sprache herausgerückt war? War es möglich, dass all diese Morde doch nicht umsonst gewesen waren?
Während er den Auszügen aus der Rede lauschte,
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