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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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hier, um sie endlich ins Bett zu bekommen. Sowohl die Dunkelheit wie auch die Abgeschiedenheit des kleinen Beleuchtungsraums arbeiteten zu seinem Vorteil. Wenn er jetzt nur noch Gwen dazu bringen konnte, den nächsten Schritt in ihrer Beziehung zu gehen!
    Der Schulinspektor betrat die Bühne. Das Licht wurde heruntergefahren, das Gemurmel erstarb. Pawlow’scher Reflex, dachte Andy. Er hatte vor Ewigkeiten Psychologie studiert. Aus Liebe zu einer Frau hatte er anschließend einen Hochschulabschluss in Pädagogik gemacht. Marlenes Eltern hielten nicht viel von „Seelenklempnern“, dafür mochten sie Lehrer umso mehr, da sie selbst welche waren, und Andy mochte Marlene. Also absolvierte er zwei weitere Jahre an der Universität von New Mexico, bekam einen Posten an der Highschool von Santa Fe und stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, dass er Freude an seiner Arbeit hatte.
    Marlene machte sich mit einem Börsenmakler aus dem Staub. Zog nach Seattle. Sonntagabends aß Andy nach wie vor mit ihren Eltern zu Abend. Gelegentlich verabredete er sich mit einer Frau, fand aber nie jemanden, der Marlene ersetzen konnte. Niemand würde sie je ersetzen können. Er arbeitete sich vom Physiklehrer zum Leiter des Fachbereichs hoch, ließ den Staat dafür bezahlen, dass er seinen Doktor machte und wurde mit vierzig Direktor der Santa Fe High School. Marlenes Eltern waren es gewesen, die mit ihren guten Beziehungen dafür sorgten, dass er schließlich eine Stelle als Schulinspektor bekam. Marlene lebte noch immer in Seattle. Sie war geschieden, hatte zwei Kinder und leitete einen Starbucks. Sie schrieben sich jedes Jahr Weihnachtskarten.
    Andy stieg aufs Rednerpult. Bei einer solchen Veranstaltung fühlte er sich immer wie am ersten Schultag. Er überblickte die Menge von etwas über zweihundert Lehrern. Da die Scheinwerfer auf ihn und nicht auf sie gerichtet waren, konnte er keine Gesichter erkennen. Besser so – sie schauten bestimmt finster.
    Er begann: „Guten Morgen, Ladies und Gentlemen. Ich möchte die Gelegenheit ergreifen …“
    Hinten in der Beleuchtungskabine bereitete Gwen den Film vor. Gemäß dem Ablaufplan würde der Schulinspektor in fünfzehn Minuten die Bühne verlassen. Das war der Moment, in dem sie die Filmleinwand ausfahren und den Film starten würde.
    „Also“, flüsterte Ric. „Was möchtest du in den nächsten fünfzehn Minuten machen?“
    Gwen zog ein klobiges Buch aus ihrer Schultasche. „Kannst du mir mit Wirtschaftskunde helfen?“
    Ric half ihr bei den Hausaufgaben. Er war ein netter Kerl. Er hätte wissen müssen, dass hier nicht das Paradies auf ihn wartete. Die Mädchen mochten nette Kerle wegen ihrem mitfühlenden Lächeln und der Schulter, an der sie sich ausheulen konnten. Jeder Körperteil unterhalb der Schulter wurde von ihnen leider überhaupt nicht wahrgenommen.
    Auf der Bühne kam Andy Longtree gerade zum komplizierten Mittelteil seiner Rede. Hier musste er mit den Nettigkeiten aufhören und zu den harten Fakten übergehen. Ja, Lehrpläne würden weiterhin den staatlichen Richtlinien angepasst (mit anderen Worten: niveauloser werden). Nein, es gebe keine Neueinstellungen. Ja, die durchschnittliche Klassengröße würde bei fünfunddreißig Schülern bleiben. Nein, es gebe keine neuen Tische. Er verpackte seine Schlussfolgerung in den üblichen Optimismus: „Einer der ersten Siedler in diesem fantastischen Land, William Bradford, sagte einmal, dass alle großen und ehrenhaften Taten großer Anstrengungen bedürfen. Sie sind die Siedler der Zukunft, und die Köpfe Ihrer Schüler sind die Äcker. Säen Sie Gutes! Säen Sie Anstand. Säen Sie Zielstrebigkeit. Säen Sie Wissen. Fahren Sie eine gute Ernte ein, Ladies und Gentlemen, und die ganze Welt kann davon ernährt werden! Das ist Ihr Auftrag. Das ist Ihre Gabe. Vielen Dank.“
    Der Applaus war halbherzig, was Andy nicht sonderlich störte. Er hatte nichts gesagt, was die Guten nicht längst wussten und die Schlechten nicht längst ignorierten. C’est la vie .
    „Und jetzt, Ladies und Gentlemen, zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung. Wegen der jüngsten Ereignisse in Albuquerque, die wir nicht weiter diskutieren wollen, müssen sich die Lehrer aller öffentlichen Schulen einen zwanzigminütigen Film über sexuelle Nötigung ansehen.“
    Stöhnen, Ächzen, Zischeln.
    „Nach dem Film gibt es eine kurze Pause, und dann fahren wir um elf Uhr fort, wie Sie aus Ihrem Terminplan ersehen können.“
    Andy trat zur Seite. Im

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