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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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Beleuchtungsraum legte Gwen einen Schalter um, woraufhin eine große weiße Leinwand herabsurrte und beinahe das Pult berührte, an dem der Schulinspektor vor wenigen Minuten noch gestanden hatte. Sie blendete die restlichen Lichter aus, drückte auf einen Knopf, und der Projektor warf über die Köpfe des Publikums die Worte „Sexuelle Nötigung in Schulen“ auf die weiße Leinwand.
    Durch zwei Kunststofffenster konnte man aus der Beleuchtungskabine das Publikum sehen. Eines davon war geschlossen, das andere noch geöffnet. Jetzt hatten er und Gwen Ruhe. Dunkler würde es nicht mehr werden. Nur eine Tür führte in die Kabine, und die war geschlossen. Ein Video über Sex (in gewisser Weise) flimmerte im Hintergrund. Wenn das nicht der perfekte Rahmen für Romantik war, dann wusste er auch nicht.
    „Gwen“, raunte er. „Warum machen wir nicht mal eine Pause mit Wirtschaftskunde?“
    Sie sah zu ihm hoch. Ihre Augen waren hellbraun. Ric träumte von diesen Augen. Einmal hatte er sogar ein Gedicht über diese Augen geschrieben.
    „Eine Pause?“, fragte sie, da beugte er sich vor und …
    Die einzige Tür zu der Kabine öffnete sich, und ein Mann mittleren Alters rollte einen großen Plastikmülleimer herein.
    „Oh, tut mir leid“, murmelte er. „Ich wusste nicht, dass jemand hier ist.“
    „Schon okay“, lächelte Gwen. „Achten Sie gar nicht auf uns.“
    Er schenkte ihnen ein kurzes schüchternes Lächeln und machte sich an die Arbeit.
    Gwen sah Ric an. „Worüber hatten wir gerade gesprochen?“
    Ric rutschte auf seinem Stuhl herum. Er konnte das schließlich nicht tun, während jemand im Raum war. Er sah zu dem grauen Mann hinüber, der gerade in die graue Mülltonne griff. Der Mann sah auf, in seinen Augen lag ein Ausdruck von Traurigkeit. Ric hatte sofort Mitleid mit ihm, doch als der Mann die Hände aus der Tonne nahm, fragte sich Ric, warum ein Schuhkarton in der Abfalltonne war, wie lustig, und der Mann stellte den Karton neben die Tonanlage, vorsichtig, wie man einen verletzten Vogel zurück ins Nest legte.
    „Was ist in der Schuhschachtel?“, fragte Ric.
    Gwen, die sich wieder in ihr Schulbuch vertieft hatte, hob den Kopf, weil sie wissen wollte, wovon Ric sprach, und genau rechtzeitig, um zu sehen, wie der Mann erneut in die Abfalltonne griff, um die nächste Überraschung herauszuholen.
    Mit respektvoller Sorgfalt legte Galileo die Leichen der beiden Teenager nebeneinander auf den Boden, dann setzte er sich auf einen der Stühle. Er öffnete das zweite Plastikfenster und spähte hinaus auf das ahnungslose Publikum. Sein Gewehr war geladen. Er war bereit.
    Auf dem Bildschirm flirtete ein fetter Mann in einem braunen Blazer mit einer jungen Frau. Die junge Frau trug einen konservativen Hosenanzug. Sie waren sechs Meter groß, was ihre schlechte Schauspielkunst und die gestelzten Dialoge nur noch betonte. Ein paar Lehrer, die tatsächlich aufpassten, mussten wegen der albernen Darstellung kichern. Die große Mehrheit aber ignorierte den Film und nutzte die Zeit und das Licht des Films, um Schularbeiten zu korrigieren. Daran war nichts Schlimmes, sie schwänzten ja nicht etwa die Schule oder so was. Sie nutzten die Schulzeit, um Schularbeiten zu machen.
    Wie in jeder Gruppe gab es auch hier Cliquen. Santa Fe hatte zwanzig Grundschulen, vier Realschulen und drei Oberschulen. Innerhalb dieser großen Einheiten gab es weitere Unterteilungen bezüglich Hautfarbe, Geschlecht und sogar Modestil. Die Adretten saßen bei den Adretten, die Hippies bei den Hippies. Die Anfänger hielten sich von den Veteranen fern. Die Geschichtslehrer blieben untereinander, genauso wie die Naturkundelehrer. Und wie in jeder Gruppe gab es auch Außenseiter, die für sich blieben, weil sich niemand für sie interessierte. Entweder kleideten sie sich anders oder sahen anders aus oder rochen anders … die alte Geschichte eben, die sich nicht änderte, nur weil man von einer Seite des Tisches auf die andere wechselte. Wie immer saßen diese Außenseiter auf den Plätzen entlang den Wänden, da blieben sie unbemerkt, selbst untereinander.
    Ihr Tod wurde genauso wenig bemerkt wie ihr Leben. Deswegen waren sie das erste Ziel. Als Joffrey Davis, ein vierzig Jahre alter Sportlehrer mit schlimmen Schuppen im zurückweichenden Haaransatz plötzlich nach vorn kippte, fiel das niemandem auf. Als Linda Perelman, eine zweiundzwanzig Jahre alte Aushilfslehrerin, deren krankhafte Schüchternheit nur bei kleinen Kindern nachließ, das

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