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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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lang musste bei uns niemand nachsitzen, weil auch die Lehrer nach dem Unterricht nicht bleiben wollten.“
    „Mrs Phillips hat die Proben für ‚My Fair Lady‘ aus der Aula ins Musikzimmer verlegt.“
    „Doch nur, damit sie an den Songs arbeiten konnten, Schlaumeier!“
    „Vielleicht.“
    „Jedenfalls übertreiben die alle“, beschied Cassie und sah Esme an. „Stimmt’s?“
    Esme wusste nicht, was sie sagen sollte. Zum Glück brauchte sie das auch gar nicht. Rachel antwortete für sie.
    „Ich wette, dass Galileo als Kind kleine Tiere gequält hat. Ich wette, dass er Kaninchen und Meerschweinchen erwürgt hat und die Leute sich immer wunderten, wo ihre Haustiere geblieben sind. Und ich wette, er hat es genossen.“
    „Meinst du, seine Eltern wussten es?“
    „Wie sollten sie nicht?“
    „Dann ist das alles genauso ihr Fehler wie seiner.“
    „Was soll das heißen, Rachel? Deine Eltern sind also schuld daran, dass du so eine Idiotin bist?“
    Jetzt war es Rachel, die Cassie in die Seite stieß. Fest.
    Dann wieder Stille. War die Unterhaltung beendet?
    „Also, Mrs Stuart, haben Sie noch immer Angst?“
    Esme hob den Kopf. „Noch immer?“
    „Dass er hinter Ihnen her sein könnte, um … Sie wissen schon … seinen Job zu beenden.“
    Diesmal schimpfte niemand mit Rachel. Alle waren viel zu fassungslos, um etwas zu tun.
    Ihr „Äh …“ drückte nur aus, wie durcheinander Esme war. Hatte sie darüber nachgedacht, ob Galileo hinter ihr her war? Natürlich hatte sie das. Jeden Tag. Sie weigerte sich, in ständiger Angst zu leben, und doch war sie bis vor Kurzem die meiste Zeit zu Hause auf dem Sofa geblieben, so weit wie möglich von den Fenstern entfernt. Doch nun war alles anders. Jetzt war sie wieder auf der Bildfläche erschienen, und Galileo konnte sie jederzeit aus meilenweiter Entfernung abknallen.
    „Wenn er sie hätte umbringen wollen, hätte er das doch schon in Texas getan“, warf der Junge, dessen Onkel Rettungssanitäter war, sanft ein.
    „Aber warum hat er das nicht?“
    Esme hätte Rachel nun gern eine verpasst.
    „Rachel!“, versuchte Cassie, die Situation zu retten.„Warum holst du uns nicht noch einen Krug Wasser?“
    „Aber der Krug ist noch gar nicht leer.“
    „Warum das Unvermeidliche hinauszögern?“
    Rachel schnitt eine Grimasse, stand auf und trug den Krug aus dem Zimmer.
    „Tut mir leid“, entschuldigte sich Cassie.
    „Schon in Ordnung“, log Esme. „Lasst uns einfach weiterarbeiten.“
    Der Zirkus kam wie immer am ersten Aprilwochenende in die Stadt. Donald Chappell war schon als Junge hingegangen, um die Löwen in der Manege zu sehen. Die Löwennummer mochte er am liebsten. Vorher hatte er nur in den „Narnia“-Büchern über sie gelesen, und mit einem Mal waren sie da, lebendig und wunderschön, genau so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Jahre später gab er seinem Sohn die Begeisterung für den Zirkus genauso weiter wie für die „Narnia“-Sammlung. Jetzt aber war Donald mit seinem Enkel hier, Klein Joey, der nicht still stehen konnte, der noch nie von C. S. Lewis gehört hatte und der wenig beeindruckt war, als Donald ihm von „Aslan“ erzählte. Joey interessierte sich mehr für seine Zuckerwatte als für die Vorstellung.
    Als Donald ein Junge war, schien der Zirkus aus dem Nichts aufzutauchen, wie herbeigezaubert, und das hatte sich richtig angefühlt. Aber eines Tages, als die „Unity for a Better Tomorrow“ langsam richtig erfolgreich wurde, hatten die Manager des Zirkus Donald und seine Frau angerufen. Sie baten um finanzielle Unterstützung. Man könne die Spende auch von der Steuer absetzen, prahlten sie, und außerdem Werbung damit machen.
    In dieser Nacht in seinem Bett wäre Donald beinahe in Tränen ausgebrochen.
    Die „Unity for a Better Tomorrow“ unterstützte den Zirkus tatsächlich und war inzwischen sogar der Hauptsponsor. Die Süßigkeiten, die Joey gerade verdrückte, gingen „aufs Haus“, genauso wie die Eintrittskarten. Und wie alle weiteren Eintrittskarten, falls Joey wiederkommen wollte, worüber sich Donald sehr gefreut hätte.
    „Mir ist langweilig“, nörgelte der Junge.
    Das Publikum applaudierte, als ein geschmeidiges dunkelhaariges Mädchen fünfzehn Meter über dem Boden über ein Drahtseil ging, während sie ein Buch las. Vielleicht las sie „Die Abenteuer im Wandschrank oder: Der Löwe und die Hexe“. Donald konnte das Mädchen kaum erkennen, noch viel weniger den Buchumschlag. Er brauchte eine neue Brille.

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