Herr Klee und Herr Feld | Roman
dein Wohl! Lechaim!
Das Telefon klingelte und Zamira nahm es hoch. Sie schaute kurz auf das Display, dann sagte sie:
Bei Kleefeld …
Er ist kurz vor Mitternacht friedlich eingeschlafen, sagte die Schwester, als sie die Tür öffnete.
Moritz und Zamira traten in das kleine, karge Zimmer. Auf dem Bett lag Alfred in einem lächerlichen Krankenhausnachthemd und hatte die Hände gefaltet. Über ihm an der Wand hing ein Kruzifix. Links und rechts neben dem Bett brannten zwei Kerzen. Moritz war verärgert, als er zur Krankenschwester sagte:
Lassen Sie uns allein!
Verwundert verließ sie das Zimmer.
Zamira stand in der Ecke und weinte, während Moritz die Kerzen ausblies, sich über das Bett beugte und das Kreuz von der Wand nahm. Er legte es gemeinsam mit dem neuen Testament, das auf dem Nachttisch lag, in eine Schublade.
Helfen Sie mir bitte, sagte er zu Zamira, wir müssen ihn auf den Boden legen.
Auf den Boden?
Ja, so macht man das bei uns. Bitte.
Er umklammerte Alfreds Oberkörper, während Zamira die Beine nahm. Unter großen Anstrengungen ließen sie ihn auf den Boden neben das Bett gleiten und legten ihn auf den Rücken.
Moritz löste Alfreds Hände voneinander. Er versuchte, ihm den Ring vom kleinen Finger zu ziehen. Als es nicht gelang, versuchte es Zamira. Sie schaffte es und gab ihn Moritz. Der hatte sich inzwischen in eine Ecke gekauert, die Knie angezogen und weinte herzzerreißend. Immer wieder rief er:
Ich habe ihn getötet. Ich bin Kain. Ich habe ihn auf dem Gewissen! Und dann habe ich ihn noch einsam sterben lassen, in seiner letzten Stunde! Warum?
Sie hockte sich neben ihn und nahm ihn in den Arm. Während sie ebenfalls in Tränen aufgelöst war, sagte sie:
Sie haben keine Schuld! Es ist das Schicksal.
Moritz schüttelte den Kopf.
Wegen mir musste er ins Krankenhaus und hier hat er sich den Tod geholt! Ich hätte sterben müssen, nicht er! Ich habe ihn umgebracht! Bastard habe ich zu ihm gesagt! Bastard!
Wieder konnte Moritz nicht mehr weitersprechen vor Schmerz und Trauer.
Herr Feld! Bastarde sind die besten Hunde. Sie sind klug und treu. Sie sind Lebenskünstler.
Ach, Zamira, rief Moritz schluchzend und legte seinen Kopf an ihre Schulter.
Es klopfte an der Tür und sie wurde gleichzeitig geöffnet. Zamira erhob sich. Dr. Perlmann kam ins Zimmer. Stumm gab er Moritz die Hand, der auf dem Boden sitzen blieb. Danach begrüßte er Zamira mit einem Kopfnicken. Einen Moment stand er vor dem toten Alfred, dann sagte er:
Die chewra kommt noch heute Nacht und holt ihn.
Danke, sagte Moritz.
Du brauchst zwei weiße Leinentücher, erklärte der Arzt, und einen talles und eine kippa.
Ich weiß, sagte Moritz, ich kümmere mich darum.
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29
Es war ein nebliger, grauer Wintertag, die ideale Voraussetzung für eine Beerdigung. Nur wenige Menschen standen an dem offenen Grab, das neben dem von David Bermann ausgehoben worden war. Der Rabbiner hatte ein paar unpersönliche Worte gesagt und Moritz anschließend Kaddisch. Danach hatte der Rabbiner einen weiteren Riss in Alfreds Kaschmirschal gemacht, den Zamira zu Moritz’ Überraschung heute Morgen herausgenommen hatte.
Danach kamen die Trauergäste zu Moritz und kondolierten ihm. Fast alle warfen einen irritierten, zögerlichen Blick zu Zamira, die neben ihm stand. Manche gaben ihr die Hand.
Eine halbe Stunde zuvor, in der Trauerhalle, hatten sich die meisten von ihnen diskret in eine der leeren Reihen gesetzt und über den Raum verteilt, lediglich Moritz und Zamira saßen in der ersten Reihe nebeneinander.
Irgendwann hatte sich Moritz erhoben, nachdem der Rabbiner ihn aufgefordert hatte, ein paar Worte zu sagen. Moritz schritt zum Pult und Zamira bemerkte sofort an seiner Haltung, dass hier nicht der Professor stand, sondern Herr Feld. Moritz begann leise:
Es liegt in der Natur des Alterns, dass man immer öfter und in kürzeren Abständen mit dem Tod anderer Menschen konfrontiert wird. Ich habe den Tod der Mutter, den meiner Frau, den Tod vieler Freunde erleben müssen. Aber nun ist mein Bruder gestorben und es zerreißt mir das Herz. Ich habe mich gefragt, warum es ausgerechnet sein Tod ist, der mich so ratlos und einsam zurücklässt. Wir haben die meiste Zeit unseres Lebens nicht miteinander verbracht, wir lebten in verschiedenen Ländern, hatten verschiedene Berufe. Und doch ist es so, als sei ein Teil meiner selbst gegangen. Alfred und ich waren ein gutes Gespann.
Wir haben dank unserer Mutter eine sorglose und
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