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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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Bettkante und wartete, bis sein Kreislauf einigermaßen in Schwung gekommen war. Fanny hatte ihn bereits vor Jahren dazu angehalten, »vernünftig« aufzustehen und nicht einfach hochzuschnellen und aus dem Bett zu springen. Damals hatte er sich noch über sie lustig gemacht. Aber heute? Solange man jung war, dachte man nie über sein Jungsein nach. Heute, im Alter, dachte man an nichts anderes als daran, dass man alt wurde.
    Moritz erhob sich langsam und sah auf den Wecker. In einer Stunde würde sie kommen, die nächste Bewerberin. Er wollte im Eingangsbereich ein wenig sauber machen, nur das Notwendigste. Mit diesem Vorsatz verschwand er im Bad.
     
    Alfred saß in seinem Morgenmantel am Schreibtisch und schnitt einen Artikel aus. Er hatte sich die Zeitung schon früh aus dem Briefkasten genommen. Er hasste es, eine bereits gelesene Zeitung in die Hand zu nehmen. Für ihn musste eine Tageszeitung noch unschuldig sein. Leider ging es Moritz ebenso und darum gab es den täglichen Kampf um die FAZ . Immer wieder regte sich Moritz auf, wenn sein Bruder die Feuilletonbeilage herausnahm, die jeder zuerst lesen wollte.
    Alfred überflog in der Regel die politischen Artikel, sie waren oft Schnee von gestern. Es ging immer um Krisen: die Finanzkrise, die Bankenkrise, die Bildungskrise, die Kulturkrise. Jeder hatte heute das Recht auf seine Krise. Das Wesentliche hatte er bereits im Fernsehen gesehen oder im Internet auf Spiegel Online gelesen, was er täglich mehrmals anklickte. Die Kommentare las er selten zu Ende, denn in den meisten Fällen deckten sie sich mit seiner Meinung, und was ihn ärgerte, musste er nicht lesen. Was ihn wirklich interessierte, waren Verschwörungen und Machenschaften, waren Artikel, in denen sich zum Beispiel Antisemiten selbst entlarvten. Sie bestätigten seinen kritischen Blick auf die deutsche Gesellschaft.
    Was Moritz am meisten hasste, waren Artikel, die nicht mehr da waren, die Alfred bereits ausgeschnitten hatte. Das ließ sich aber nicht immer vermeiden, so wie heute, als er einen Artikel über die Schließung von zweihundert Kinos und den Niedergang des italienischen Films entdeckt hatte, den er unbedingt einem schwulen Kollegen nach Rom schicken wollte. Enrico Paulson war ein jüdischer Schauspieler, ein Wiener Emigrant, der schon bei Rossellini und Visconti gespielt hatte und der in einem Altersheim für Künstler lebte.
    Alfred legte den ausgeschnittenen Artikel zur Seite. Er sah auf dem Teller das Wurstbrot und biss ein Stück ab. Er kaute genüsslich.
    Dann nahm er die Tasse und trank einen Schluck Tee.
    Es klopfte an seiner Tür und Moritz rief: Freddy?
    Alfred nahm nervös die Zeitung hoch.
    Was willst du?
    Möchtest du etwas essen?, hörte er durch die Tür.
    Nein!, antwortete Alfred, danke!
    Aber du musst doch was essen, ließ der Bruder keine Ruhe.
    Wieso muss ich essen?
    Soll ich dir ein Brot machen? Ich mache dir gern ein Brot. Mit Quittenkonfitüre. Hn?
    Moritz gab nicht auf, typisch.
    Nein. Ich möchte nichts, versuchte Alfred ihm klarzumachen.
    Trink wenigstens einen Tee, war die Antwort.
    Oder ja oder nein! Lass mich.
    Was ist los mit dir?, kam die nächste Frage durch die Tür.
    Alfred antwortete jetzt mit tonloser Stimme:
    Ich fühle mich nicht gut.
    In der nächsten Sekunde wurde die Tür geöffnet und Moritz kam ins Zimmer. Alfred warf rasch die Zeitung über sein Frühstück.
    Moritz war besorgt:
    Was heißt, du fühlst dich nicht gut?
    Ich weiß auch nicht, sagte Alfred gequält, irgendwas ist mit mir.
    Möchtest du Haferschleim?
    Du musst dich nicht kümmern.
    Was heißt, ich muss mich nicht kümmern? Sei nicht albern. Ein Tee mit Zwieback ist schnell gemacht.
    Meinetwegen, gab Alfred nach.
    Na, siehst du.
    Moritz ging zur Tür.
    Die Kittelschürze ist schrecklich, sagte Alfred.
    Ich weiß.
    Die Tür wurde geschlossen.
    Alfred stopfte rasch das Brot in sich hinein. Er kaute und trank.
     
    Die junge Frau verließ die U-Bahn-Station Westend. Sie hielt einen Zettel in der Hand, musste sich kurz orientieren, wo sie war. Sie fragte einen Schülerlotsen nach der Straße. Der zeigte in eine Richtung. Die junge Frau bedankte sich und ging weiter.
    Einige Minuten später stand sie für einen Augenblick unschlüssig an der Pforte und schaute auf die eindrucksvolle graue Villa. Dann drückte sie auf die untere Klingel, an deren Schild der Name Kleefeld stand. Die Klingel darüber trug den Namen Stöcklein.
    Durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss vernahm sie das Geräusch

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